Jochen Stankowski feat. Käthe Kollwitz
#mustsee 1, Galerie Ursula Walter, Dresden
2021: Susanne Altmann, Januar
Abb. oben und unten, Säule mit TypoGrafik auf dem Dresdner Neustädter Markt
„Die Straßen sind unsere Pinsel - Die Plätze unsere Paletten“ so donnerte vor mehr als hundert Jahren Wladimir Majakowski seine Künstlerkolleg*innen an und läutete damit die Geburt politischer Kunst in der Öffentlichkeit ein. Für die frühe sowjetische Avantgarde gab es keine Grenzen mehr zwischen Gebrauchskunst und so genannter Hochkultur. Um die Augen, Hirne und Herzen auch jener Menschen zu erreichen, die kaum des Lesens kundig waren, entwickelte sich besonders die Typografie zu einem schlagkräftigen Instrument. Denn mit dynamischem Formen und signalhaften Farben konnte eine Wortbotschaft auch als Bildbotschaft wirken.
Jochen Stankowski (*1940) entstammt dieser, im besten Sinne linken Gestaltungstradition, die sich nicht zu schade ist, mit Großbuchstaben, fetten Lettern und farbigen Unterstreichungen zu arbeiten. Wir wissen allerdings, dass seit Majakowski und seinen Mitstreitern wie El Lissitzky oder Alexander Rodtschenko, Propagandaästhetik ihre Unschuld längst verloren hat. Das hat mit dem Erbe autoritärer Regimes zu tun, mit dem Kalten Krieg und der Furcht vor verordneten Ideologien. Umso mehr Respekt gebührt einem Gestalter wie Stankowski, der sich von rein formalen Propagandavorwürfen nie hat einschüchtern lassen. Seine Plakate sind AnSchläge auf die Bequemlichkeit des Sehens und des Gewissens. Kritische AnSchläge, sich auf „Rüstung, Psychiatrie, Kirche, §218, Knast, Bürgerprotest“ beziehend – wie es in seinem gleichnamigen Buch heißt. Als er 1998 von Westdeutschland nach Dresden zog, mag ihm hier sichtbarer politischer Aktivismus gefehlt haben.
Doch bald fand er ausgerechnet in Käthe Kollwitz (1867-1945) bzw. in deren kämpferischen Geist eine unerwartete Mitstreiterin. Während er regelmäßig Drucksachen für das Käthe Kollwitz Haus in Moritzburg realisierte, wurde ihm das Werk dieser politischen Aktivistin, Sozialkritikerin und Pazifistin immer vertrauter. Zeitgleich zu #mustsee 1 sind Stankowskis engagierte Kommentare zum Zeitgeschehen im Untergeschoss der Gedenkstätte zu sehen. Ein Stockwerk darüber werden, wie stets die wohl wichtigsten Grafikzyklen des 20. Jahrhunderts gezeigt: „Ein Weberaufstand“ (1893-97), „Bauernkrieg“ (1902/03) und „Krieg“ 1921/22).
Ganz gleich ob als Einblattholzschnitt, Lithografie, Radierung, Siebdruck oder Offsetprint: Druckgrafik ist mindestens seit dem Bauernkrieg ein demokratisches und öffentliches Medium. Und als solches hat sie auch Käthe Kollwitz zeitlebens verstanden. Das verbindet sie mit der fortschrittlichen Avantgarde in Russland und auch mit Jochen Stankowski, mögen die Bildsprachen noch so unterschiedlich sein. Die Botschaften richten sich sich nach außen und zielen; einmal mehr, einmal weniger schmerzhaft, auf unser moralisches Gewissen, unsere Zivilcourage, unsere Bereitschaft zur Veränderungen usw.
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