Aufhebung - Zeitschrift für dialektische Philosophie
2017: Editorial, Nr 10
Nach Hans Heinz Holz zeigt sich im Kunstwerk die Subjekt-Objekt-Dialektik im Modus der Anschauung. Das Kunstwerk ist sinnlich Reflexion, in welchem sich gegenständlich im sinnlich-anschaulichen Gehalt ein ontologisches, ein historisch-gesellschaftliches und ein psychologisches Verhältnis des Menschen zur Welt objektiviert und die Sinndimension menschlicher Wirklichkeit als Wiederspiegelungsverhältnis intuitiv erfahrbar wird. »Die bildende Kunst leistet also auf dem Boden der Sinnlichkeit das, was die Sprache durch Überführung des Wahrgenommenen in die Unsinnlichkeit des Begriffs erreicht: die Konstruktion von Bedeutungen, das heißt Allgemeinverständlich, die unsere gemeinsame Welt bilden. In der Kunst wird den Sinnen Sprache verliehen.« (Hans Heinz Holz 2015. Freiheit und Vernunft - Mein philosophischer Weg nach 1945. Aisthesis: Bielefeld, 186)
Die sich im 20. Jahrhundert vollzogene Wende in der Kunst weg von Darstellungen, die sich auf die dingliche Gestalt von Wahrnehmungsinhalten beziehen, hin zu einer rein auf Formgehalte des Sehens sich beschränkende ‚konkrete‘ Kunst, führte zur Möglichkeit aufzuzeigen, dass die reinen Formen an sich selbst und in Konfigurationen Träger von Bedeutungen und als solche Gegenstände unserer Wirklichkeitsrezeption sind. Jochen Stankowski steht vor allem – aber nicht alleine – mit seinem bildnerischen Werk in dieser bedeutenden Traditionslinie.
Insbesondere seine Arbeit zur ‚Dialektik des Sehens‘ (Jochen Stankowski. 1984. Einheit der visuellen Gegensätze. Versuch zur Dialektik des Sehens. 36 Begriffspaare. Stuttgart: ed.co.) zeigen in ihren Formen den syntaktischen Ursprung von Bedeutungen. Gleichwie eine bestimmte Bedeutung eines Wortes an seinen grammatischen Eigenschaften wie aus seiner syntaktischen Stellung in einem Satz und Textgefüge im Kontext der anderen syntaktisch und grammatische bestimmte Wörter hervortritt, so erwächst auch in der bildenden Kunst bestimmte Bedeutung eines Bildelements aus der Ordnung des ganzen Werkes.
In Jochen Stankowskis Arbeiten bilden die visuellen in einander übergehenden bestimmten Gegensätze (sprachlich ausgedrückt als: groß-klein, dick-dünn, lang-kurz, rund-eckig, schmal-breit, krumm-gerade, spitz-stumpf, linear-flächig,viel-wenig, ganz-geteilt, eng-weit, leer-voll, gleichmäßig-ungleichmäßig, symmetrisch-asymmetrisch, zentral-dezentral, durchsichtig-undurchsichtig, sichtbar-unsichtbar, positiv-negativ, stracks-indirekt, schwarz-weiß, hell-dunkel, matt-glänzend, rechts-links, oben-unten, vorne-hinten, innen-außen, über-unter, tief-hoch, drauf-drunter, waagerecht-senkrecht, steil-flach, schräg-gerade, weit-nah, ab-an, stehen-fließen, vor-zurück ...) den Ausgangspunkt für eine Erkundung der Bandbreite menschlicher Erfahrung. Er möchte mit seinen Bildern zeigen, was und wie wir denken. Seine geometrische Formen wechseln zwischen Gedanken und Bildebene und beginnen in der Verschränkung von Verbalem und Non-verbalem zu sprechen. Ganz in diesem Sinne hat Jochen Stankowski das nunmehrige Aussehen der ‚Aufhebung‘ gestaltet und mit seinem Design ‚Kippen: waagerecht-senkrecht‘ ganz die philosophische Grundlage und das wissenschaftliche Programm unserer Zeitschrift versinnlicht-veranschaulicht: die Negation, die Aufbewahrung und das auf eine höhere Stufe Heben der dialektischen Philosophie. (...)
Vorwort zur Ausgabe ‚Aufhebung‘ 10/2017,
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