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Ausstellung DruckGrafik
2011: Heinz Weißflog, Galerie Konkret Dresden, 2.3.2011

Abb. Determiniert, Siebdruck, 1965, 65x65 cm, mehr unten

Die Geometrie des Tatsächlichen ist keine Erfindung des menschlichen Geistes, sondern in der Natur der Dinge vorhanden und vorgegeben. Gerade die Landschaften (zwar hat der Mensch auch dahineingewirkt) können auf ihr optisches Konzentrat reduziert werden, weil sie bereits im Natürlichen vorhanden bzw. angelegt sind. Da aber nur der menschliche Geist die Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung besitzt, ist das, was als die natürliche Form bezeichnet wird (und in ihr sind alle Formen vorhanden und aufgehoben) eine Abstraktion, sowohl bildlich als auch verbal ausgedrückt: Durch den Menschen gefiltert und hindurchgegangen. Der Grafiker Jochen Stankowski (seit 1998 in Dresden zu Hause) unterscheidet deshalb strikt zwischen gegenstandslos und abstrakt. Die abstrakte Form ist eine Reduktion, die gegenstandslose Form macht eine Idee sichtbar. Die abstrakte ist an eine konkrete Form gebunden, in der das Natürliche noch wiedererkennbar bleibt, die gegenstandslose ist die freie Form, die über das geometrische Spiel mit Linien und fläche Strukturen erfindet, bzw. nacherfindet, die Vergröberungen der kosmischen Formenvielfalt sind, wie die Mathematik mit ihren Zahlen und Gleichnungen, Widerspiegelung der Natur im Bezug auf das Unendliche ist. Soweit der Geist, der in der Natur waltet ein Geist ist, den der Mensch mit dem seinen erkennen kann, ist auch die Form eine natürliche, dem Menschengeist gemäße, also im erkennenden Menschen vorhanden, eine geistge sowie natürliche Form. Ein Kalender von Jochen Stankowski aus dem Jahr 2008 macht dies auf verblüffend anschauliche Weise deutlich. (Siehe Bild+Abbild).

Jochen Stankowski wurde 1940 in Meschede (Ruhr), einem Ort zwischen Kassel und Köln geboren. Prägend war das Erlebnis des Bombenangriffs auf die Stadt, den er als 5-jähriger erlebte. Über das ‚Visuelle Erlebnis’ als Schriftsetzer (Bleisatz), später in Suttgart als Akzidenzsetzer, kam er zum Grafikdesign, das er bei seinem Onkel Anton Stankowski erlernte. Danach folgten Studien in Malerei an der Kunstakademie Stuttgart. 1965 ging er nach England und studierte am Londoner College of Printing. Dort drehte er seinen ersten Film über den Pfeil, dem ältesten universellen grafischen Zeichen, das fast allen Kulturen der Welt angehört. Darüber schrieb er auch ein Buch zusammen mit Eugen Gomringer (dem Sekretär von Max Bill an der Ulmer Hochschule für Gestaltung), das im Keller-Verlag 1972 als minutiöse ‚Sammlung über den Pfeil’ erschien. (Siehe Der Pfeil). Über die piktografischen Zeichen und Schrift als grafisches Konstrukt meditiert er noch heute. Schließlich stieg er aus dem Grafikdesignunternehmen aus und ging an die ‚Basis’, widmete sich Kriegsdienstverweigerern, Obdachlosen und Jugendlichen, die aus der Bahn geraten waren. Er selbst hatte 1963 den Kriegsdienst verweigert und in der Psychiatrie als Pfleger gearbeitet. 1974 wurde er Mitherausgeber und Gestalter der Initiativzeitung ‚Kölner VolksBlatt’ und beteiligte sich an der visuellen Gestaltung zahlreicher politischer Aktionen mit Flugblättern und in den Medien der Bürgerinitiativen- und Ökologiebewegung.

Das Jahr 1998 war für ihn eine Zäsur und ein Neuanfang sowohl im Privaten wie im Beruf. Jochen Stankowski kam nach Dresden. Hier arbeitete er bis zur Berentung in der angewandten Kunst als freier Grafiker für Industrie und Wirtschaft in der Werbung, entwickelte Logos und Signets für neue Firmen, ist als Buchgestalter und Medienfachmann tätig. Für moderne Vernetzungen im Computerbereich fand er visuelle Entsprechungen, die das jeweilige Prinzip in eine visuelle Form umsetzt. Für den Merve-Verlag Berlin gestaltet er bis heute die Umschläge und Rückseiten der Bücher.

In letzter Zeit interessieren ihn mehr die Malerei und die Zeichen, die Arbeit auf der Fläche mit konkret-konstruktiven Formen. Seine künstlerische Arbeit mit der konkreten Form unterliegt einem Konzept, das er über viele Jahre hinweg erarbeitet und für sich gefunden hat. Die Brotarbeit lieferte ihm nicht nur die Anregungen, sondern machte ihm die Möglichkeiten bewusst und durchsichtig, die im ‚grafischen Gedächstnisraum’ seiner Arbeit schlummern. Über die konkrete Kunst entwarf er eine Dialektik des Sehens, die von gegensätzlichen Begriffspaaren in der Sprache ausgeht und sich mit der Einheit der visuellen Gegensätze in den Formen befasst. Dialektik fasst er so als unviverselles Wachstumsprinzip auf, das bis ins Alltägliche reicht. Wie ein Dreieck oder ein Kreis oder ein Quadrat miteinander funktionieren haben die Klassiker der konkreten Kunst wie Malewitsch, Mondrian, Lissitzky, Vasarelli und Kandinski, später Max Bill und Paul Lohse bereits vorgedacht. Jochen Stankowskis Vorzug ist die Variation, die aus einem selbst entwickelten Kanon von Formen und Farbkombinationen hervorgeht. Neben der Geometrie tastete er die Möglichkeiten des Linearen ab, sowie das Wort als konkretes Konstrukt im linearen Verlauf. Viele für ihn typische Formen stammen aus der Beschäftigung mit der industriellen Werbung, aber das Spiel mit der Form und der an sie gebundenen Farbigkeit führt ihn in seine besten Arbeiten zu klaren, feinfühligen, fast lyrischen, ein wenig unterkühlten Kompositionen, die disziplinierend auf das Auge wirken und anregen. Visuelle Klarheit ist es, nicht Sachlichkeit der Form, die hier überzeugt, die jede Arbeit zum Individuum werden läßt.

Die jetzige Ausstellung besticht durch ein klares und optisch durchgehaltenes Konzept: Von einer ersten Arbeit im Souterrain von 1958, die zaghaft ein rosa Dreieck mit zwei schwarzen Balken im rechten Winkel darstellt, bis zur neuesten Erfindung ‚Wachsen’ (Acryl, 2010), zeigt sich die Variationsbreite seines Schaffens. In dem aus balkenförmigen Linien stehenden ‚Satzspiegel’ (1959) verarbeitete er seine Arbeit als Schriftsetzer. Dazwischen der Kreis und das in ihn geschriebene Quadrat in vielfältiger Ausführung. Aber auch die Quadrate in Beziehung miteinander sowie mit in sie eingeschriebenen Dreiecken. Besondere Aufmerksamkeit verdienen den Siedruck ‚Licht’ (1966) und die beiden Tintenstrahldrucke ‚Licht’ 1 und 2 (1995-2010), die im Süden nach einem Tunesienaufenthalt enstanden waren. Die langsame Bewegung des ‚Kinetischen Quadrates’ (1965) mahnt zur Ruhe und Langsamkeit inmitten einer immer schneller werdenden Gesellschaft. ‚Pythagoras’ (1962) ist ein Reflex auf die eingehende Beschäftigung mit der Mathematik, bei dem seine mathematischen Lehrsätze in Form von ineinander verschachtelten Quadraten sichtbar gemacht werden.

Den oberen Ausstellungsraum beherrscht eine aus 60 Tintenstrahldrucken bestehende Gruppe von geometrischen Experimenten nach digitalen Vorlagen (in der Mappe weitere 40, allesamt Blätter mit farbigen kostruktiven Formen. Hier buchstabiert Jochen Stankowski sein Formenalphabet durch. „Je weniger im Bild ist, desto mehr kann der Betrachter in es hineindenken“, ist seine Devise. Ein optisches Erlebnis wie die Fart zu den norwegischen Fjorden, schlug sich einem eindruckvollen blauweißen Dreiecksspiel nieder. Indem er die Mathematik der geometrischen Formen durchdekliniert, erweist sich die Fülle der Ideen des Künstlers, die lebhafte und lebendige Darstellungsweise, die oft von eigener unmittelbarer Anschauung inspiriert und nicht nur das Podukt von Atelierversuchen ist. Natürlich arbeiter er mit Lineal und Zirkel, muss sich am Reißbrett vertiefen, die Proportionen wahren und anerkennen. Letzlich aber inspirieren ihn immer Licht und Schatten, freie Landschaft und urbaner Raum. Dresden ist dafür ein idealer Ort, an dem die Proportionen von Landschaft, Architektur und Kultur stimmen. Und die Stadt ist, jedenfalls was ihre Tradition von Hermann Glöckner an und einigen lehrenden Architekten der Technischen Universität Dresden betrifft, ein Ort, an dem konstruktive Kunst gepflegt wird. Im angewandten Bereich hatte es die konstruktive Kunst in der DDR relativ leicht, sich durchzusetzen.

In einigen Arbeiten (5 Drucke aus 200) verarbeitet er seine Erfahrung mit der Kombination von vier Strichen. Das seltsame Spiel der wie Schriftzeichen wirkenden Kürzel führt zu bewegten Flächenformen, die wie tanzende Figuren erscheinen oder wie frühe Piktogramme und Hieroglyphen, und sich in den Blick ‚hineindrehen’.

Jochen Stankowski bewegt sich an der Grenze des Banalen. Er gibt dem Gewöhnlichen, der elementaren Form eine Kleinigkeit, eine ‚homöopathische Dosis’ hinzu. Symetrie ist für ihn kaum ein Thema. Seine Gestaltungen sind immer aus der Mitte herausgenommen, streben aber, wenn es sich ergibt auch der Mitte zu. Auf seinen 5 Blättern (1986) mit Konkreter Poesie (die ich für diese Ausstellung für sehr wichtig halte) bedient er sich der Wortmetamorphosen von Peter Grohmann.  Durch Weglassen und Hinzufügen eines Buchstabens erzeugt der Dichter und Kabarettist völlig neue Wortbedeutungen und skurrile, durch konsonantische Amputation entstandene Wortblitze. Diese Worte ordnet Jochen Stankowski zu einem grafischen Bild. Sie werden zu typografischen Linien. Tiefsinniges und Quatsch vereinen sich zu Wortschlangen, die übereinander herfallen, sich ordnen, wie Schnitzel oder Mikadostäbe auseinanderfallen und durcheinanderpurzeln. (Siehe auch Publikationen: Konkrete Poesie).

Jochen Stankowski bezeichnet sich selbst als ‚Zeichensteller’, weil es ihm im angewandten Bereich, seinem Broterwerb, aber auch in der freien Kunst immer um die visuelle Zeichensprache, um die Suche nach Formen geht, die er zum „Sprechen bringen will“ (JS). Als Rentner hat er nun ausreichend Zeit und Ruhe, sich immer eingehender und intensiver mit konstruktivistischer Kunst zu beschäftigen. Dabei erfindet er überraschend neue Kombinationen von Dreieck, Kreis und Quadrat, sowie deren farbige Gestaltung. Mit einigen Arbeiten steht er in der Reihe der ‚op art’, die in den 60er Jahren sich zu entfalten begann. Mit seinem Credo: „Jede Form löst eine Empfindung aus“, steht er fern vom Ästhetizisieren, wenngleich im angewandten Bereich die Verführungen dazu groß sind. Wichtig ist dem Künstler das Prinzip, nach dem die Formen miteinander kommunizieren, unmanieriert immer wieder mit neuem Leben zu erfüllen.