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Ganz konkret: Durch die Augen in den Sinn
Publikation der Galerie Konkret
2010: Maria Obenaus, TU Dresden; UniversitätsJournal, 2/2010

"Als Jochen Stankowski 1998 aus dem Rheinland nach Dresden kam, hatte er wohl nicht daran zu denken gewagt, neben seinen Hauptprofessionen hier einmal eine Galerie zu führen. Doch der Grafikdesigner, Maler, Fotograf oder, wie er sich selbst gern bezeichnet „Zeichensteller“ Stankowski, erkannte wohl den genius loci, und es fanden sich für eine Galerie geeignete Räume auf der Rothenburger Strasse: Nicht zu groß, hell und inmitten der pulsierenden Dresdner Neustadt  gelegen. Thomas Kohl, in Dresden geboren, brachte in die Galerie seine Ideen und Erfahrungen als Industrie- und Grafikdesigner und als Verleger ein. Seit 2005 bereichert die Galerie Konkret nun die Dresdner Kunstszene und zeigt mit der kürzlich herausgegebenen Publikation „Durch die Augen in den Sinn – Aspekte visueller Wahrnehmung“, wie zahl- und facettenreich das Ausstellungsgeschehen an diesem Ort ist.

Der Name der Galerie verweist auf eine Kunst, in der sich das Sichtbare nur auf sich selbst bezieht, auf Elementares reduziert, zu bewusstem Sehen und logischem Denken animiert. Ein im Jahre 1910 von Wassily Kandinsky gemaltes Aquarell steht am Beginn der als „Konkrete Kunst“ bezeichneten Kunstrichtung, deren Ziel Max Bill formulierte: „gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln“ - das bedeutet, Aufmerksamkeit zu lenken, Wahrnehmungsfunktionen zu schärfen, das Sehen zu schulen.

Man kann es ein Phänomen nennen, dass sich hier in Dresden, mehr noch als in anderen Zentren der Kunst, wie in Stuttgart oder Köln, über Jahrzehnte hinweg eine Szene konstruktiv und konkret arbeitender Künstler etablieren konnte. Sie begründet sich auf den Reformbewegungen des beginnenden 20. Jahrhunderts mit Werkbund und bedeutenden Kunstausstellungen, knüpft an die Leistungen von Lehrern der Akademie für Kunstgewerbe, wie Carl Rade, und der Akademie der Bildenden Künste mit dem vom Bauhaus kommenden Mart Stam an.

Auch wirkten hier Franz Ehrlich, Hermann Glöckner und später Wilhelm Müller, Manfred Luther und Karl-Heinz Adler. Sie gaben in schwierigen Zeiten vielen Künstlern Maßstab und künstlerische Orientierung. Auffällig ist heute, dass viele der konstruktiv-konkret arbeitenden Künstler mit der Architektur-Fakultät der Technischen Universität verbunden waren oder sind, wie Karl-Heinz Adler, Karlheinz Georgi, Peter Albert, Dieter Schölzel, Eckhard Bendin, Wolff-Ulrich Weder, Niels-Christian Fritsche. Aber auch Gert Bär, Professor für Geometrie und Kinematik, gehört zu dem Kreis der „Konkreten“.

Das Buch „Durch die Augen in den Sinn“ stellt in zwei Hauptteilen die insgesamt 17 Ausstellungen und 14 Werkstattgespräche, die bisher in der „Galerie Konkret“ stattfanden, chronologisch vor. Dabei ist die Spannweite konstruktiv-konkreter Ausdrucksformen sowohl in den Ausstellungen als auch in den Texten und Vorträgen beeindruckend.

Dem Künstler Friedrich Kracht widmete Jochen Stankowski die erste Ausstellung. Aus heutiger Sicht ist es selbstverständlich, dass den Galeristen die besondere Persönlichkeit des Künstlers und sein kraftvolles Werk faszinierten. Die Bescheidung auf das Wesentliche in Form und Farbe, die kraftvolle Körperlichkeit, die sich doch in vielen Bildern einer rationalen Erfassung entzieht, stimulieren den Betrachter nicht nur zum genaueren Sehen, sondern provozieren durch Irritationen zum Nachdenken über die Verlässlichkeit des Sehens. Die Dokumentation der folgenden Präsentationen thematisiert u.a. den Blick auf gegensätzliche Formelemente, wie Linien und Flächen in ihren unterschiedlichen Konstellationen und Bedeutungen (Jochen Stankowski), Formfindungen aus systematischer Untersuchung von Veränderung des 2-Dimensionalen durch Faltung (Thomas Kohl: „Metamorphosen“), produkt- und baubezogene Arbeiten (Karl-Heinz Adler, Friedrich Kracht: „Formstein-System“), Farbe-Form Kompositionen (Folker Fuchs: „Module – serielle Räume“), die Wahrnehmung über die Kamera - konstruktivistische Fotografie (Stankowski: „Licht durch Schatten“), mathematische Gesetzmäßigkeiten in digitalen Bildern (Gert Bär: Visuelle Mathematik“) und Material-Farbe-Form-Relationen (Christine Weise: „Spiel der Fäden“).

Der 2. Teil „Werkstattgespräche“ verknüpft Konkrete Kunst mit Zeichensprachen aus den verschiedensten Berufsfeldern. So ist z.B. nachzulesen, wie der Komponist und Musiker Hartmut Dorschner mit graphischem Talent Partituren schreibt, in denen durch enge und weite Strukturen, dicke und dünne, gerade, gekräuselte, fallende, steigende Linien, Buchstaben, Silben, Worte die Dynamik des Stückes erkennbar wird. Der Physiker Dietrich Schulze, ehemals Ordinarius an der Fachrichtung Physik, erkannte bei seiner Arbeit am Elektronenmikroskop Ähnlichkeiten in Werken der Kunst. Peter Grohmann, Kabarettist, Schriftsetzer und Schriftsteller interessieren die Buchstaben-, Wort und Sprachspiele. Gern lässt man sich ein, entdeckt das im Wort Versteckte und freut sich, dass der Schwachsinn gängiger Begriffe mit Humor entlarvt wird. Jens Besser bringt Writing und Street Art ins Bewusstsein – Interventionen, die Stadträume wesentlich prägen. Kaum vermag man sie zu entschlüsseln, doch vermitteln sie durch ihre Zeichenhaftigkeit Botschaften.

Die inhaltlich sehr reiche Publikation zeigt, dass sich die Galerie Konkret nach nur 4 Jahren als lebendiger, fächerübergreifender und, Generationen verbindender Ausstellungs-, Bildungs- und Begegnungsort etabliert hat.

Das Buch ist aber weit mehr als eine Retrospektive: Es ist eine Art Lehrbuch für alle, die an elementaren Gestaltungsprozessen und ihren Resultaten interessiert sind. Zu wünschen ist, dass das Buch viele Leser erreicht und sie in ihrem Bemühen um gestalterische Qualität bestärkt."    Maria Obenaus, Kustodie TU Dresden

Abb. Die Einladungen zu den Ausstellungseröffnungen bekamen jeweils eine eigene Falzung von A4 auf etwa DinLang und sind inzwischen Sammlerstücke.