Klarheit und Schönheit in den Formen
Rede zur Buchpräsentation 'Zeichen' von Jochen Stankowski
2006: Karl Nolle in der TU Dresden
Abb. oben Buchtitel, unten Innenseiten
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freunde der Schwarzen und der bunten Kunst,
Johannes Gensfleisch zur Laden zum Gutenberg gilt gemeinhin als Vater der Buchdruckerkunst, was nicht ganz richtig ist, denn die Chinesen waren schneller.
Jochen Stankowski könnte man als Vater der Angewandten Ästhetik bezeichnen. Auch das wäre nicht ganz richtig, denn die Schönheit der chinesischen Schrift und ihre Ästhetik war schon Legende, als am Rhein und an der Elbe die Menschen - im übertragenen Sinne - noch auf Bäumen saßen.
Die Klarheit des Schwarz-Weißen und die Schönheit in den Formen dieser chinesischen Schrift finden Sie freilich fast durchgängig in allen Arbeiten Stankowski - so wie jedes chinesische Schriftzeichen unverwechselbar ist, aber mehrere Deutungen und Bedeutungen zulässt, gibt auch Stankowski der Fantasie den Raum des Einfachen.
Sie werden sich beim Blättern diesem Werk über seine Arbeiten freuen, sich vielleicht über das freie Spiel der Linien wundern, die Linie vom Punkt zum Zeichen, zur Grafik im Geiste nachvollziehen und feststellen: Der Punkt ist der wahre Ausgangspunkt alles Visuellen. Und es kommt nicht von ungefähr, dass eine ganze Reihe von Arbeiten Stankowskis wiederum chinesischen Schriftzeichen ähneln.
Sprich mit Marx
Ideen allein reichen nicht. Sie müssen auch umgesetzt werden. Um mit Karl Marx zu sprechen: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Hat uns aber diese Erkenntnis, wenn wir sie uns denn überhaupt zu eigen gemacht haben, weitergebracht? Anders gesagt: Es kommt eben nicht nur darauf ein, die Welt zu verändern - wir wollen sie auch lebenswerter und gerechter haben.
Die Idee der Drucktechnik war schon lange vor Gutenberg bekannt, aber sie konnte technisch nicht umgesetzt werden. Gutenbergs eigentliches Verdienst war die Entwicklung von Lettern, an denen die Farbe haften blieb, von Lettern, die leicht und schnell herzustellen waren. Sein Verdienst war die praktische Umsetzung des gesamten Druckvorgangs: Von nun ab hatte jeder seine Heilige Schrift, musste aber, wenn er in den Himmel kommen wollte, lesen und schreiben lernen.
Die Heilige „Schrift“ ist so wenig heilig wie die heilige Inquisition. Es ist die gesellschaftliche Wirklichkeit, die sich in Sprache oder Schrift, Chiffren oder Zeichen ausdrückt, es ist das Sein, dass das Bewußtsein bestimmt - nicht umgekehrt.
Schrift und also Sprache, Chiffren und Zeichen - das ist das Metier von Jochen Stankowski, der sich die Klarheit auf die Fahnen geschrieben hat. Stankowski erkennt in der modernen Kommunikation vor allem zwei Stränge:
Der eine Strang macht es Ihnen und mir als Endverbraucher und Konsumenten schwer, Zusammenhänge zu erkennen, Widersprüche zu entdecken - oder in einem umfassenderen Sinne: Die Verhältnisse zu durchschauen. Das ist gewollt. Das beginnt beim „Politikersprech“, den vernebelnden Statements, und geht von den nicht mehr entzifferbaren Abrechnungen für Strom, Gas oder Wasser bis zum Kleingedruckten in Versicherungsverträgen, dem Kauderwelsch und Klauseln auf Gebrauchsanweisungen oder Beipackzetteln bei Medikamenten.
Dahinter steckt kein kluger Kopf
Dahinter steckt, anders als wir früher glauben, weder eine große, geldgierige Macht, die uns verwirren, wehrlos machen und manipulieren will, sondern vor allem Unvermögen der Macher und Inkompetenz in der Kommunikation. Diesen einen Strang könnte man, verkürzt gesagt, als verwirrend, langatmig, undurchsichtig, verbraucherfeindlich, doktrinär und undemokratisch bezeichnen. Den anderen Strang zeichnet in erster Linie Klarheit aus, Deutlichkeit, Strenge in der Sache, die Beschränkung aufs Wesentliche - allgemeine Verständlichkeit, Transparenz, Kürze. Diesem Strang hat sich Jochen Stankowski verschrieben: Aufklären, durchschaubar bleiben, verbraucherfreundlich, offen, demokratisch.
Auf die Gestaltung, das Corporate Design angewandt, stellt sich der Zeichensteller die Aufgabe, in seiner Arbeit die notwendigen und richtigen Akzente zu setzen. Für ihn gilt, die richtigen und wichtigen Teile einer Aufgabe herauszufinden und anderes wegzulassen, damit diese die richtigen und wichtigen Teile als solche erkannt werden. Entscheidend ist also für Stankowski das Gelingen einer Reduktion. Reduktion ist kein Verlust, sondern ein Gewinn, und dieser „Gewinn“ zieht sich wie ein roter Faden durch ein langes künstlerisches und Arbeitsleben.
Als ich mich im längst nicht mehr fernen Hannover für die Apo, die Außerparlamentarische Opposition, engagierte, in den Siebziger Jahren, hatte ich die ersten parlamentarischen Enttäuschungen - es sollten nicht die letzten bleiben - längst hinter mir. Es war damals für uns wichtig, über eigene Produktionsmittel zu verfügen - das waren in jener Zeit heute primitiv anmutende Vervielfältigungsmaschinen für Wachsmatrizen oder kleine Offsetdruckmaschinen.
In dieser Zeit gab Jochen Stankowski in Köln das Volksblatt heraus - Gegendruck von unten, Aufklärung, unabhängig, von den Lesern finanziert und durch den ehrenamtlichen Einsatz der Macher. Sie finden Beispiele dieser Arbeit und viele vergleichbare von anderen Initiativern, Gruppen und Personen aus dem undogmatischen politischen Milieu jener Jahre in dem heute präsentiertem Buch.
In diesen Jahren der „Nachkriegsaufklärung“ lernte ich Jochen Stankowski kennen. Wir trafen uns wieder auf Arbeitstagungen, Demonstrationen, bei Debatten. Jochen Stankowski, mit dem mich politische Praxis im besten Sinne verbindet, hat im DruckHaus Dresden von Anbeginn an seine Zeichen gesetzt. Die Zusammenarbeit lag nahe. Hier der Zeichensteller, der Designer, da die Produktionsmittel. Die erste gemeinsame Arbeit ging um das Logo des Druckunternehmens. Was könnte mehr das umfassende Angebot einers Dienstleistungsunternehmens symbolisieren als die spiegelverkehrt zu lesenden Worte Druck?
Das Wort selbst steht, gewissermaßen auf den Kopf gestellt, für Druck und das Neue, für Gegendruck. Und jeder einzelne Buchstabe symbolisiert in einer anderen Farbe Vielfarbigkeit und Vielfalt des Angebots.
Mit diesem anders zu sehenden, aber leicht zu lesendem Wort, dem Wort-Zeichen, weist Stankowski auf das Besondere unseres Unternehmens hin. Wir sind keine einfache Druckerei, schon gar nicht eine Buchdruckerei, obwohl das Buchdrucken das älteste aller Geschäfte der Druckkunst ist – und kein Problem fürs DruckHaus, in dem die alte Druckerkunst des Meisters Gutenberg genauso zu Hause ist wie die virtuelle Übermittlung von Daten direkt auf die Maschinen. Sie können Farbe oder Sprache oder Schrift oder Bild sein.
Verbindende Klarheit
Die Klarheit also verbindet uns. Aber noch etwas verbindet uns, absonderlich in unseren Zeiten. Denn es ging in unserer Zusammenarbeit nie in erster Linie um das, was am meisten fehlte: Geld. Es ging immer ums Buch, um die gut gestaltete Drucksache, um Inhalte, um Anspruch, Aufbruch, um die Botschaft, um Sprache und Schrift und Ausdruck, um Kunst. Die schnell-laufende Maschine reproduziert diese Aufbrüche und Botschaften.
... und verbindende Hoffnung
Uns verbindet aber auch die alte Hoffnung aller Aufklärer. Die Hoffnung, dass der Lesende seine Welt besser erkennt als der Analphabet. Die Hoffnung, dass der Sehende nichts übersieht - was nahe liegt in Zeiten der Reizüberflutung.
Die Hoffnung also, dass dem Betrachter beim Sehen die Augen aufgehen. Es ist die alte, nie versiegende Hoffnung von allen, die in der Schwarzen Kunst eine bunte Welt der Aufklärung zaubern. Willkommen in der schönen neuen Medienwelt, die auch den Heitergestimmten einseift und dann rasiert.
Die grafisch-gestalterischen-visuellen Maßnahmen, die den Auftritt unseres Unternehmens ausmachen, sind exemplarisch:
+ Der Schriftzug als Wortzeichen. DruckHaus.
+ Vorgaben und Regeln für die zu verwendenden Schriften
+ Vorgaben und Regeln für die zu verwendenden Farben
+ Die Geschäftsausstattung
+ Werbemittel wie Anzeigen, Prospekte, Flyer, Kataloge, Plakate
+ Fahrzeug- und Gebäudebeschriftungen (innen und außen), u.a.m.
Beispiele dieses Corporate Design fürs DruckHaus finden Sie mustergültig in eben diesem Werk dokumentiert, das Ihnen heute präsentiert wird.
Manchmal möchte man über solche vielen gut gemeinten Vorgaben und Regeln und Raster und Muster jammern! Sie sollen stimmig sein, aufeinander bezogen und beziehbar, sie sollen einheitlich sein, sie sollen vom Näher treten an das Haus in der Bärensteiner Straße bis zur Beschriftung am Fahrstuhl, vom Foyer der Geschäftsleitung bis zum Prospekt über Hybrid-Druck erkennen lassen, wes Geistes Kind hier haust.
Corporate Design – die einheitlichen grafischen Vorgaben schaffen im besten Falle ein Gemeinsamkeits- und Zugehörigkeitsgefühl, wenn’s gut geht auch ein im Detail und im Ganzen fassbares Bild des Unternehmens DruckHaus Dresden.
Corporate Design ist ein Stein im Mauerwerk der Identität eines Unternehmens.
Das Unternehmen selbst wird aber in unserem Fall an seinen Produkten gemessen, an der Frage, inwieweit es die selbst gesetzten Regeln einhält. Offen bleiben kann aber nicht die Frage nach Qualität und Leistungsfähigkeit - sie wird direkt und unmittelbar am Produkt selbst gemessen.
Schauen Sie das Buch an, begreifen sie es, erfassen sie es, wiegen sie es. Ein Kulturwerk, sauber und exakt gedruckt, schwer und inhaltsschwer, für einen andauernden Gebrauch gedruckt und gebunden.
Corporate Design ist ein Spiel, im vollen Ernst. Es braucht Mitspieler, es braucht Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, Menschen, die noch im besten Wortsinn „stolpern“ können, die Hoppla! sagen, aufmerksam bleiben in der Praxis des Alltags, die die Linien als Linien erkennen und noch wissen, wo man einen Punkt machen muss. CD braucht die Mitspieler, die bei der Sache bleiben, über lange Strecken hinweg, die nicht die Geduld verlieren.
Wir freuen uns, dass das DruckHaus seinem Zeichensteller immer so ein Mitspieler und Partner gewesen ist. Das braucht Geduld, auf allen Seiten, und Durchhaltevermögen, ja Treue zu einer Sache, es braucht Experimientierfreude für die Kunst der Klarheit. In der Regel gehen auch die besten Botschaften in der Flut verloren. Wir erleben doch tagtäglich, wie die Mediensonne aufgeht und es dunkel wird in den Köpfen.
Aber wir sind hoffnungsfroh. Wir sind hoffnungsfroh, dass uns gelingt, jedem auf seine Weise, der Reizüberflutung ein Stoppzeichen entgegenzustellen. Wir widersprechen den gängigen Erwartungen. Wir provozieren im Bescheidenen.
Gemessen etwa an Weltunternehmen wie dem Medienmogul Bertelsmann, die beliebig jeden Machthaber um den kleinsten Medienfinger wickeln, üben wir mit Jochen Stankowski eine Kultur des Konkreten. Wir wollen die Hoffnung auf das große und das kleine ABC nicht aufgeben. "Wer seiner Sache untreu wird, kann nicht erwarten, daß andere ihn achten.“ Albert Einstein
Lassen Sie sich kein X für ein U vormachen - das ist die Botschaft. Der Blick aufs Wesentliche will gelernt sein.
(Dresden, Technische Universität, Fakultät Architektur, Institut für Grundfragen der Gestaltung und Darstellung)