Konstruktivistische Fotografie - Licht durch Schatten
2006: Andeas Krase, Rede in der Galerie Konkret, Dresden, 2. April
"Es gibt ganz wenige Grundgesetze, die den ganzen Menschen bewegen – vielleicht zehn Dinge – eines davon ist Ordnung.“ (1)
Jochen Stankowski ist Graphikdesigner, Maler, Former, Fotograf. Seine Ausstellung zeigt eine Auswahl fotografischer Bilder, die, wie er selbst sagt, mit der „konstruktivistischen Formensprache … arbeiten“. Dieser Hinweis auf einen Prozess, auf das Arbeiten, ist Programm. Fotografieren ist für ihn Ergebnis eines gerichteten Sehens, einer Vor-Instanz. Ohne Apparat sieht der Mensch räumlich, die zwei auf der Netzhaut reflektierten Bilder werden im Gehirn in Eins gesetzt. Das Sehfeld ist unbestimmt, zu den Seiten hin unscharf werdend, nicht rund, unbestimmt in den Rändern, ein Einziges.
Der Blick durch den Fotoapparat verdeckt die Welt. Verhältnismäßigkeiten, Proportionen entstehen speziell in diesem Geviert. Die Neugier und Gewissheit, dass etwas Bildliches entsteht, führt zu Abwägungen, messendem Verhalten. Die Welt, die durch die Kamera eindringt, ist eine andere, als die des Auges (nach Walter Benjamin), sie ist technisch bewältigt, durch Parameter des Fotografischen geprägt.
Fotografien sind mehrfach begründet, sie sind Ergebnis einer Kombination von Einstellungen, die apparativ sind, aber im doppelten Sinne des deutschen Wortes Prägungen, Interessen, Wahrnehmungserfahrungen integrieren. Stankowski geht mit der Fototheorie Vilém Flussers konform, seinem Denken über, wie Flusser es nennt „Möglichkeitsfelder“ des Fotografischen, über das Verhältnis der Einstellungen von „Apparat, Fotograf und Photon“ (die Einwirkung von Lichtenergie auf die fotografische Schicht). (2)
Vor allem ist es aber doch die Praxis selbst, das Staunen über die Möglichkeit, mit dem Fotoapparat Konstellationen zu finden, die der konstruktivistischen Formenwelt entsprechen, die bestimmend ist für sein Interesse. Über Piet Mondrian ist bekannt, dass er in den Jahren zwischen 1912 bis 1917 von der gegenständlichen Landschaftsmalerei über Baumstudien zu immer abstrakteren Ausschnitten von Baumgeäst gelangte und darauf basierend seine geometrischen und aus wenigen Grundtönen bestehenden „konkreten“ Kompositionen entwickelte. Die Abstraktion, die absolute Ordnung stand am Ende eines längeren Prozesses. (3)
Jochen Stankowski ist den umgekehrten Weg gegangen, er kommt von der Abstraktion. Seine Prägung, sein Formverständnis, sein Wollen, dem Ungeordneten der Welt ein ordnendes Prinzip entgegenzusetzen, ist ein Ur-Menschliches, auch in dem Sinne, dass frühe Kultur- und Glaubenszeugnisse der Menschen eben dies ausweisen, dieses Streben nach Regel und Ordnung, nach Geometrie und Symmetrie. Sein Weg führte vom Formenvokabular konstruktivistischer Kunst zu fotografierten Realitätsfragmenten zurück.
Dieses Streben hat schließlich Bestätigung gefunden in der Erfahrung, das Prinzip auch der Außenwelt fotografisch abnehmen zu können. Damit steht Stankowski in einer klar erkennbaren Tradition fotografischen Arbeitens, die besonders durch in Deutschland arbeitende Künstler geprägt worden ist. Teilweise war es die abstrakte Formenwelt unter dem Mikroskop, das Kristallische, die Künstler wie Carl Strüwe und August Kreyenkamp oder Alfred Ehrhardt faszinierte. Andere, besonders der Plastiker und Fotograf Fritz Kühn, folgten dem Beispiel Karl Blossfelds und suchten die „Kunstformen der Natur“ im Sinne Ernst Haeckels fotografisch zu fixieren.
In den 50er und 60er Jahren interessierte sich Kühn besonders für architektonische Motive, Details, die im Wechselspiel von Licht und Schatten abstrakte, aber auch räumliche Kompositionen abgaben – und die er vorzugsweise in Italien, im klassischen SÜDEN fand. Er suchte nach Formverläufen, die die inneren Kraftverhältnisse und Strukturen von Dingen auf ihrer Außenhaut sichtbar werden ließen. Sein Buch „Stufen“, Berlin 1964, verweist auf vergleichbare Motive und Interessen. In einem weiteren Zyklus rückte er noch weiter in die Materie vor, auf der Suche nach Ausdrucksformen des Energetischen. (4)
Das Gerät, die Bildfalle, ist eine Mittelformatkamera, teilweise zieht ein langbrennweitiges Objektiv Details heraus, verflächigt vorgefundene Konstellationen im fotografischen Bild. Dieses, das Negativ oder Diapositiv ist Partitur oder Urschrift. Teilweise wurden vom Künstler auch bestimmte Bildausschnitte heraus vergrößert. Die Bilder der Ausstellung sind Ergebnis hybrider Techniken. Am Beginn steht immer noch die Vergrößerung auf Fotopapier. Die Bilder der Ausstellung sind keine fotografischen Abzüge auf Bromsilbergelatine- oder PE-Papier, sondern Ausdrucke nach den digitalisierten Ursprungsfotografien oder von Diapositiven gezogen. In einigen Fällen wurden Farbdaten ausgefiltert, einmal wurde wiederum die Farbe Blau einem Bild hinzugefügt. Spuren des fotografischen Materials, etwa das Sichtbarwerden des Bildkorns und damit verbundene Unschärfen und Übergänge, sind zugunsten der Formidee vernachlässigt worden.
Die Fotografien sind in ihrer komplizierten Einfachheit im Kontext mit den gemalten und getuschten Bildern zu verstehen. Größere Klarheit, Distinktheit kommt den Acrylmalereien auf Holz und Leinwand zu. Diese, ebenso wie die Skizzen in Aquarell, Tempera und Acryl, die wiederum einen mehr handlichen, materiellen Duktus aufweisen, sind Stadien eines Werkprozesses. Die formellen Bezüge und Interdependenzen sind klar auszumachen.
Die Fotografien sind Näherungen zur Welt und damit wird letztlich ein Anspruch eingelöst, der die Fotografie seit ihrer Entstehung begleitete: Daß sie in einem zwar prekären, aber dennoch näheren Verhältnis zur je vorhandenen Realität stünde, als andere Medien der Aufzeichnung und Verzeichnung.