Einheit im Unterschied
2006: Jacob Richard, SAX 2/2006
Abb. oben: Dialektisches Bild 24, oben-unten, 30x30 cm, 1982; unten: Blick in die Ausstellung
Als im Ruhrgebiet nach dem Krieg Zebrastreifen auf die Straßen gepinselt wurden, stellte ein Passant fest, sie wären "genau falsch herum". Dem Autofahrer signalisieren sie freie Weiterfahrt, da sie gleich der seitlichen Fahrbahnbegrenzungen parallel zu seiner Fahrtrichtung verlaufen. Dem Fußgänger dagegen raten sie zu stoppen, weit er frontal, wie bei einer Schranke, auf sie trifft. Unbestreitbar hatte der Mann Recht, trotzdem sind Zebrastreifen bis heute so falsch herum wie sie waren - vielleicht, um Fußgänger zu bremsen, damit sie noch rechtzeitig sehen können, welcher Autofahrer durchbraust. Der Signalcharakter optischer Kürzel wird gebraucht, wenn nonverbal auf einen Blick Informationen vermittelt werden sollen, so bei Schildern aller Art oder in der Werbung.
Von einem ähnlichen Ansatz geht die konkrete/abstrakte Kunst aus, die jedoch mit dem emotionalen Wert der Vereinfachung von Form wie auch Farbe spielt. In der 'Galerie Konkret' ist der Titel der gegenwärtigen Ausstellung programmatisch: Einheit der visuellen Gegensätze - Versuch zur Dialektik des Sehens. Der aufmerksame Bürger in Sachen Zebrastreifen hätte durchaus der 1940 geborene Jochen Stankowski sein können, allein, er stammt nicht aus dem Pott. Nach seiner Schriftsetzerlehre, während der erste Bilder entstanden, ging er bei seinem berühmten Onkel Anton Stankowski, einem ehemaligen Folkwang-Schüler, in die Lehre als Grafik-Designer und Fotograf. Es folgten Studien an der Freien Kunstschule Stuttgart, anschließend am College of Printing. Erste Einzelausstellungen und ein Filmprojekt über den Pfeil als universelles und historisches grafisches Element schlossen sich an. Er gründete einen Grafik- und Druck-Betrieb und den Freundeskreis leerer Bücher. Für zahlreiche Aktionen von Bürgerinitiativen und der Ökologiebewegung, übernahm er in Köln die visuelle Gestattung. 1999 war Stankowski Stadtmater in Dresden, wohin er anschließend übersiedelte, seinem Beruf als Zeichensteller nachzugehen und die Galerie konkret zu gründen.
Die Ausstellung besteht aus neun Plastiken und 59 Bildern von 30x30 cm. 20 sind in einem Raster gehangen, 36 locker an einer anderen Wand, von denen immer einige eine Ordnung in der Diagonale aufnehmen, von einer anderen gekreuzt, und alte brechen ab. Unwillkürlich sucht man beim Betrachten Regelmäßigkeit, wird verunsichert, womit sich die Aufmerksamkeit auf das einzelne Objekt richtet. Alle Bilder sind weiß grundiert und eine breite Linie führt von links oben nach rechts unten. Das öffnet die kleinen Formate und erweckt den Eindruck von work in process. Waagerechte Linien assoziierten sofort Horizont, senkrechte würden die Fläche teilen und alles sähe sehr statisch und abgeschlossen aus. Was den Intentionen des Malers zuwiderliefe, denn jede Arbeit ist Sinnbild für das Begriffspaar eines Gegensatzes und lebt so durch die Spannung des Unterschiedes. Von der Diagonalen geteilt oder sie teilent, über und unter ihr, befinden sich Vierecke, Kreise, Dreiecke und offene Formen, mal farbig ausgelegt, mal linear wie ein Umriss. Das Gemalte befindet sich auf einem inneren, nicht sichtbaren Quadrat, dass der Eindruck eines gleichmäßig breiten weißen Streifens am Bildrand entsteht, auch wenn es noch viel anderes Weiß gibt. So findet die Komposition Geschlossenheit in einem imaginären Rahmen. Die Ausstellung ist jederzeit durch die raumhohen Scheiben von zwei Seiten aus zu betrachten.