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Protest-Design - Das Medium ist nicht die Botschaft
2005: Martin Stankowski, in  'Zeichen - Angewandte Ästhetik'

In den Museen, die sich um die Alltagskunst kümmern, wird das Unbehagen über den Gegenstand häufig schon im Titel deutlich. Mal heißen sie „Kunstgewerbemuseum“ mal „Museum für Angewandte Kunst“, mal findet man sie in der Abteilung „Design“ oder bei der „Alltagskultur“. Häufig sind die Exponate auch als selbstverständlicher Bestandteil in Industrie- und Firmenmuseen um das eigentliche Produkt herum gruppiert. Es sind Werbetafeln, Messestände, Kalender, Plakate – und was es sonst alles gibt, von Künstlern gestaltet oder auch nur als Kunst aufgefasst. In der alten Bundesrepublik hat man zwischen freier und angewandter Kunst unterschieden, um die Arbeit von Künstlern oder Malern einerseits und die von Grafikern oder Designern andererseits abgrenzen zu können. Das ist häufig willkürlich, es gab und gibt von beiden Seiten ständige Grenzüberschreitungen. Das ist auch nichts Neues. Auch die mittelalterlichen Maler haben sich nicht als Künstler verstanden, sowenig wie die Handwerker des Rokoko als Designer, aber immer haben sie über die praktische Funktion und den Gebrauch ihrer Arbeiten hinaus die ästhetische Dimension im Blick gehabt.

Kunst oder Botschaft?
Noch unsinniger ist die Grenzziehung bei den Künstlern, deren Absicht nicht das schönere Produkt sondern die Botschaft ist, sei es eine soziale oder religiöse oder eine politische Botschaft. Vor allem im Zwanzigsten Jahrhundert, wie beispielsweise bei den russischen Konstruktivisten, für die ein Alfabetisierungsprogramm oder die Gestaltung von Essgeschirren und Berufskleidung für Fabrikarbeiter eben-so selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit war wie das Ringen um die künstlerische Form. Sie haben, wie viele Künstler ihrer Zeit, Agitation nicht als Schimpfwort aufgefasst, sondern als Herausforderung. Oder die Dadaisten mit ihren antimilitaristischen Aktionen, die Rheinischen Progressiven mit der Gestaltung politischer Gebrauchsgrafik oder John Heartfield mit den Fotomontagen und selbst Käthe Kollwitz mit ihren Bildern und Plakaten. Bei allen wäre die Trennung von Kunst und Gewerbe lächerlich. Man kann auch weiter zurückgehen: zu Künstlern wie Goya mit den Caprichos als Kritik an der  Inquisition oder Dürers Vier Apokalyptische Reiter anführen und auch an Picassos Taube erinnern, die zum piktogrammatischen Symbol einer Epoche und ihrer Sehnsucht nach Frieden wurde. Bei allen wäre eine Trennung von ästhetischer Leidenschaft und künstlerischem Gehalt einerseits und angewandter Botschaft andererseits völlig obsolet. Sie wollten die gesellschaftlichen Verhältnisse markieren und die Menschen entsprechend mobilisieren.

Nun könnte man ja eine neue Unterscheidung einführen, nicht zwischen freier und angewandter Kunst, sondern entlang der Funktion bzw. dem Auftraggeber, also zwischen Kunst und Grafik für die Gesellschaft oder Kunst und Grafik für den Markt. Das läge jedenfalls bei den Arbeiten von Jochen Stankowski nahe. Wenn man sich die Liste seiner Kunden anschaut, ist die Mischung schon auffallend. Da gibt es die „normalen“ Kunden aus Industrie, Handwerk oder dem Dienstleistungssektor, viele aus dem Bereich von Presse, Medien und Informationstechnik. Aber dann taucht eine ungewöhnliche, jedenfalls in diesem Kontext seltene Rubrik auf: „Politik und NGOs“ (siehe Abbildungen unten). Hier findet man politische Gruppen und Parteien, aber vor allem findet man eine ganze Palette von sozialen, Menschrechts- oder kulturellen Organisationen, deren „Produkt“ sich kaum als monetärer Artikel für den Markt, sondern als ideeller Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung definiert. Da gibt es die klassischen Träger dieser Aufgaben, wie etwa kirchliche Gemeinden und religiöse Gruppen, aber auch viele pädagogische und soziale Initiativen, aufklärerische und oppositionelle Medien, gesellschaftskritische Projekte vom Cuba-Komitee über den alternativen Kinderladen bis zu Günther Wallraffs Gegen-BILD-Stelle (Abb. siehe unten). Beim Blättern in der Kundenliste gibt es bisweilen denkwürdige, aber für Jochen Stankowski nicht untypische „Paarungen“, wenn man etwa einen Straßenmusiker neben Letraset, das „Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft“ vor der „Rosa-Luxemburg- Stiftung“ oder die Stadt Meschede hinter der „Sozialistischen Selbsthilfe Köln“ findet. Gerade diese alfabetische Zufälligkeit markiert künstlerische Freiheit und Selbstverständlichkeit: Wenn Schönheit nicht schadet, warum dann nicht schön!

Die Einheit der Gegensätze
Man könnte an dieser Stelle über das Funktionieren des freien – früher sagte man kapitalistischen –  Marktes nachdenken, der sich nicht nur als enorm anpassungsfähig erweist, sondern dem sich auch alle Dinge als Waren unterwerfen. Das erinnert an die Geschichte des antiken Königs Midas, dem alles, was er anfasste, zu Gold wurde, fast um den Preis des Verhungerns, weil sich alles verwandelte, auch jedes Lebensmittel, das er in die Hand nahm. Midas wurde vom Gott Dionysos mit einem guten Tipp gerettet, doch das steht bei der Marktwirtschaft noch aus. Die Anpassungsfähigkeit des Marktes erscheint so selbstverständlich, dass sich mancher kaum die Frage stellt, warum die gestalterischen Lösungen bei Jochen Stankowski nicht marktförmig, nicht angepasst und gefällig wirken. In einem Text über seine Arbeit hat Jochen Stankowski einmal die „Einheit der Gegensätze“ als eine seiner künstlerischen Prinzipien bezeichnet, jedenfalls den Versuch, diese Einheit zu finden und ästhetisch zu definieren. Er hat für seine Zeichen in der Sprache analoge Gegensätze gefunden, wie groß-klein, dick-dünn, spitz-stumpf oder leer-voll und dazu die Tätigkeitswörtern gestellt, die den Wechsel und die Veränderung von einem Zustand zum anderen ausdrücken. Das „Biegen“ als Überwindung des Gegensatzes von „krumm“ und „gerade“, das „Dämmern“ für den Übergang von „hell“ und „dunkel“ oder das „Schleifen“ für die Nivellierung von „spitz“ und „stumpf“. Genau so will er die Durchdringung der Gegensätze in grafischen Formen und seinen Zeichen sichtbar machen.

Was nicht trifft, trifft auch nicht zu
Man könnte einen Widerspruch darin sehen, einerseits von der Einheit der Gegensätze auszugehen, deren Überwindung zum ästhetischen Prinzip zu erheben und andererseits die realen, sprich gesellschaftlichen Gegensätze zum Ausgangspunkt der Arbeit zu machen, um deren Vereinheitlichung es wohl kaum gehen dürfte, eher um deren Überwindung. Hier kommt ein weiteres Merkmal der Arbeiten von Jochen Stankowski ins Spiel: das Prinzip der Zuspitzung. Das ist nicht selbstverständlich in Zeiten abgestumpfter Öffentlichkeit, in der gerade die Werbung die Aufgabe hat, die Schwelle der Wahrnehmung herabzusetzen, während sie in einer sich ständig nur selber spiegelnden Medienwelt wie von alleine immer höher steigt. In einer Arena, in der alles möglich scheint, ist alles nichts. Der Zeichensteller Jochen Stankowski spitzt dagegen die Probleme bis zur Kenntlichkeit zu, regt Lernprozesse an und evoziert die Arbeit am Widerspruch. Mit den Worten von Karl Kraus: „Was nicht trifft, trifft auch nicht zu.“

Das Medium ist nicht die Botschaft
Wenn immer über Design, Grafik oder Medien gesprochen wird, gibt es „Wahrheiten“, die jeder kennt und für selbstverständlich hält, wie etwa den Spruch von dem Medium, das die Botschaft selber ist. Das erscheint heute noch evidenter als in den 1960er Jahren, als Marshall McLuhan das Buch „The medium is the message“ publizierte. Nun gilt das sicherlich für vieles, aber nicht für alles, und das sieht man an den Arbeiten von Jochen Stankowski. Hier ist nicht das Medium die Botschaft, sondern das Medium fügt sich der Botschaft, der Absicht und dem Nutzer.

Das Medium folgt der Message, um im McLuhanschen Bild zu bleiben, oder auch in einem oft kolportierten Bauhaus-Postulat „Form follows function“. So wie sich im Produktdesign oder in der Architektur die beste Lösung eines Problems nach der Funktion des Gegenstandes richtete, ist es auch mit den grafischen Lösungen, den Zeichen bei Jochen Stankowski. Natürlich gibt es Zeichen, die öfter auftauchen, wie der Pfeil zum Beispiel, mit dem er sich häufig auseinandergesetzt hat. Aber trotzdem ist auch er kein „gesetztes“ Zeichen. Jede Lösung und jedes Medium richtet sich an dem Problem aus. Entsprechend ist die Vielfalt der eingesetzten Mittel und Medien. Da unterscheidet sich nicht der kommerzielle Kunde vom politischen. Alles findet Anwendung – vom Briefpapier bis zum Inserat, von der Autobeschriftung bis zur Verpackung.

Die politischen Medien haben allerdings zwei besondere Bedingungen. Zum einen ist der Finanzrahmen dieser Kunden in aller Regel sehr eng, und zum anderen müssen diese Medien leicht verfügbar und anwendbar (auch für den Laien) sein. Zum Teil greift Jochen Stankowski hier auf ältere Vorbilder zurück, wie zum Beispiel die „Kölner Wandzeitung“ (Abb. oben) in den 1980er Jahren. Natürlich gab es „Muster“ von den Rosta-Fenstern der russischen Avantgardisten bis zu den Textgraffiti unserer Großstädte, aber dieses Medium musste neu erschlossen werden. Einmal im Monat wurde es von einer lokalen Alternativzeitung „Kölner VolksBlatt“ verbreitet und parallel dazu in der Stadt an den Hauswänden aufgehängt. Als Medium musste es für zwei unterschiedliche Wahrnehmungsweisen funktionieren: einerseits mit seiner Headline wie ein Plakat als optischer Blickfang und andererseits wie eine Zeitung zum „normalen“ Lesen – aber das in einer besonderen Situation, im öffentlichen Raum, im Stehen und in Augenhöhe, zu unterschiedlichen Tageszeiten, bei wechselnden Lichtverhältnisse usw. Schrifttyp, Schnitt und Grad richteten sich nach diesen Kriterien, wobei hier der ausgebildete Typograf erkennbar wird. Ohnehin wird die differenzierte Auseinandersetzung mit dem klassischen Medium Plakat in seiner Typografie immer wieder sichtbar. Während ja heutzutage oft die Ansicht zu hören ist, die Menschen wollten nicht mehr lesen und brauchten nur die knalligen Headlines, setzt er auf die Slogans als Blickfang an den Stellen, an denen man nicht lesen kann, wie etwa bei einem Blick aus einem Auto, und setzt auf die gestalteten Texte für die Informationen, die der mündige Bürger als Passant lesen will und kann.

Bei der Entscheidung für das „richtige“ Medium, das heißt bei der Zuordnung von Medium, Funktion und Inhalt bei den gesellschaftspolitischen Themen und Kunden, spielt auch eine Art spielerischer Kreativität eine wichtige Rolle, wenn die üblichen Medien umgenutzt oder in einen ungewöhnlichen Kontext gestellt werden. Da findet eine Art Ideentransfer statt, ein Ideenschmuggel, wie ihn auch die politische Publizistik kennt. Der Medientheoretiker Bazon Brock hat einmal den Begriff von der „medienabhängigen Informationsproduktion“ geprägt – eine Methode des öffentlichen Aufmerksam-Machens mit Hilfe des Mediums, ohne dass dieses Ereignis nicht nur nicht verbreitet, sondern gar nicht stattfinden würde. Gerade NGOs wie etwa Greenpeace oder Umweltgruppen beherrschen diese Methode exzellent, ebenso die Initiativen der sozialen und kulturellen Bewegungen, die schon mangels finanzieller Möglichkeiten auf diese neuen Medien angewiesen sind. Als in Köln in den 1970er Jahren das neue Museum Ludwig geplant wurde und es wegen der hohen Kosten durch seinen Standort Proteste gab, haben die Kritiker als eine ihrer Aktionen eigene „Kunstwerke“ gestiftet, der beschenkten Stadt Köln in einem Happening übergeben und gleichzeitig dazu einen entsprechenden Werk-Katalog vorgelegt. Die entsprechenden Medien dazu, vom Flugblatt über das Plakat bis hin zum „Austellungskatalog“, gestaltete der Zeichensteller Jochen Stankowski.

Ein anderes Beispiel, „Falschgeld“ (Abb. siehe unten). Köln ist ja eine Stadt, die weit über das Rheinland hinaus für ihren lockeren Umgang mit den politischen Skandalen, für Klüngel und Korruption bekannt ist. Bevor aber diese Themen die großen Medien erreichten, haben Initiativen in der Stadt auf den Zusammenhang von Schmiergeld und Stadtplanung oder Parteienfinanzierung und Industrieansiedlung aufmerksam gemacht und eines ihrer Medien dabei war „Falschgeld“. 1000-Mark-Scheine tauchten auf, die in riesigen Mengen etwa beim Karneval oder bei politischen Veranstaltungen verteilt wurden und die verantwortlichen Politiker, Beamten oder Nutznießer nannten. Dabei diente das Geld ja nicht als monetäres Tauschmittel, sondern als gewöhnliches Alltagsmedium, das gleichzeitig Informationen über den Kölschen Klüngel, Bauskandale und Ähnliches verbreitete.

Mehr Demokratie wagen
1972 gründete Jochen Stankowski, der gelernte Schriftsetzer, gemeinsam mit Freunden eine eigene Druckerei, den DruckBetrieb in Köln-Niehl (Abb. 1+2 siehe unten). Das war nach der Zeit der Partnerschaft mit seinem Onkel Anton Stankowski ganz im damaligen Zeitgeist kollektiver gesellschaftlicher Entwürfe. Eine eigene Druckerei sollte nicht nur die ökonomische Unabhängigkeit sichern, sondern auch die unmittelbare Verfügung über alle Schritte des Mediums garantieren – von der Idee über die Gestaltung von Bild und Text bis zur Realisation in der technischen Herstellung und teilweise auch der Distribution. Ein öffentlichkeitswirksames Produkt dieses Kollektivbetriebs war das „Kölner VolksBlatt“, ein unabhängiges Periodikum der sozialen, kulturellen und politischen Protestbewegungen der Domstadt. Es lag seinerzeit ganz im Trend und wurde zum Muster und Vorbild vieler ähnlicher lokaler Alternativzeitungen in der BRD. Man wird bei der zeitlichen Einordnung der Arbeiten von Jochen Stankowski sowieso einen großen Teil der „politischen Medien“ in dieser Periode finden. Gesellschaftskritik und politischer Diskurs waren seinerzeit ja nicht nur Thema in den Medien, sondern häufig auch Anstoß für eigene und neue Medien selbst. Die Fülle der kleinen Printmedien in allen nur denkbaren sozialen oder kulturellen Feldern, die ersten digitalen Experimente, wesentlich geringere Kosten, die leichtere Verfügung über die Produktionsmittel (das in einer Zeit, in der Partzipation von der Mehrheit als Umsetzung des berühmten Willy-Brandt-Mottos „Mehr Demokratie wagen“ verstanden wurde) – alles das führte auch zu einer Fülle von Arbeiten des Zeichenstellers J. Stankowski.

Wenn man die Ergebnisse im Überblick betrachtet, wird deutlich, dass die ästhetische Qualität dieser Medien in dem Maße zunimmt, wie der moralische Druck ihrer Inhalte nachlässt. Man könnte ein „Gesetz“ daraus machen und diesen Zusammenhang in einer Statistik illustrieren, vielleicht sogar einer Formel. Bertolt Brecht hat wohl diesen Zusammenhang von Ästhetik und Moral gemeint mit dem Satz „Auch die Stimme, die das Unrecht schilt, ist heiser.“ Und was für die Literatur gilt, scheint auch in der Welt der Marken, der Werbung und Botschaften zutreffend zu sein. Die Literaturwissenschaft tut sich schwer in der Erklärung, warum Märchen heute noch funktionieren, wie sie Wirkung entfalten durch alle Epochen hindurch und bei allen gesellschaftlichen Gruppen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Kultur oder Religion. Vielleicht liegt es ja daran, dass es in den Märchen nicht darauf ankommt, ob etwas gut oder böse ist, ob einer sich gut oder böse verhält, sondern ob er es richtig oder falsch macht. Das ist der angemessene Maßstab, mit dem über Botschaften, Dienstleistungen oder Produkte geurteilt werden kann, und auch über ihre ästhetische Vermittlung.

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