Der erste Dresdner Stadtmaler JochenStankowski
1999: Henrike Sandner, Fama, Kunstmagazin, 1.99
Abb.: 'Fama'; unten: Visuelle Empfindung der Augustusbrücke
Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar." (Paul Klee) Er verspürt die legendäre Angst vor dem wcißen Blatt nur dann, wenn es groß ist. Deshalb vertraut er all seine spontanen Ideen vorerst unendlich vielen kleinen weißen Zetteln an. Hier findet der kreative Akt statt. Die Vergrößerung, so kann man sagen, ist dann die Kopie.
Jochen Stankowski will sich ein Bild von dem machen, was er nicht sehen kann. Von Dingen, die sich uns erst offenbaren, wenn sie ins Bildhafte übersetzt und auf das Wesentliche reduziert sind. In seiner graphischen Sprache sind es Punkte, Linien und Flächen, die dem Betrachter eine Falle stellen wollen. Eine Sehfalle, in welcher sich der Blick verfängt und der Gedanke zum Zeichen wird.
Der Typograph, der Maler und der Grafik-Designer Stankowski nennt sich selbst "Zeichensteller". Assoziativ anknüpfend an die Arbeit des Schriftstellers, des Schaustellers oder auch des Fallenstellers, sieht er sich als einer, der Momente des Alltags mit seiner Kunst sichtbar machen will. Über Zeichen stolpern zu lassen, das ist sein Credo.
Derzeit lebt und arbeitet der Kölner Künstler als erster Dresdner Stadtmaler in einem idyllischen Gartenhäuschen in Dresden KIotzsche. Er läßt sich inspirieren von der Stadt und ihren Zeichen. Den ersten Anknüpfungspunkt den er hier fand, waren Dresdens Brücken. Auf vergrößerten Fotos hinterließ Jochen Stankowski farbige Spuren. Die filigrane Wellenform des "Blauen Wunders" beschreibt ein gelber Pinselschwung. Für die Statik der Augustusbrücke (siehe unen) dagegen wählte er feste rote Balken. Sie stehen für tiefe Verankerung im Strom der Zeit, für Verbindung und Belastbarkeit.
Neben diesen Arbeiten finden sich aber auch zahlreiche andere Ansätze. Schatten auf nordafrikanischen Häuserwänden verwandelte er in graphisch-abstrakte Gebilde. Oder er läßt schwarze Linien über schneeweißes Papier laufen. Wege beschreibend, brechen die schwarzen Stränge abrupt ab, kehren um oder laufen scheinbar ins Unendliche. Stankowski lehnt in seiner Philosophie Rahmen als Bildbegrenzung ab. Alles entwickelt sich weiter, bewegt sich, schreitet fort. Diesen Moment der Natur bezeichnet er als ein Vorbild seiner Kunst.
Für neun Monate genießt der "Zeichensteller" das ungestörte Arbeiten ohne Auftragsdruck in Dresden. Im Mai will er zurück kehren an den Rhein, zurück in seine Druckwerkstatt. Hier entwirft Stankowski Schriftzüge und Logos für Firmen, Institutionen oder Verlage, wie z.B. für die Supermarktkette REWE, für das DRUCKHAUS Dresden und für den MERVE-Verlag, oder gestaltet Plakate für Gruppen, Ideen, Veranstaltungen Menschen.
Die Grenze zwischen dem auftragsmäßige Arbeiten und dem freien graphischen Schaffen verläuft bei Jochen Stankowski fließend. Es ist nicht seine Sache, nur Ausführender von bereits Vorgedachtem zu sein. So hält er all Fäden allein in der Hand: er kreiert selbst, er führt den Entwurf aus, er druckt auch selbst Stankowski steht mit seiner Auffassung in der Tradition der Konstruktivisten, in der direkten, verlängerten Linie von Matewitsch, van Doesborg, Rietveld oder Lissitzy. Als Pioniere der Reklame propagierten sie am Anfang unseres Jahrhunderts die Einheit der freien und der angewandten Kunst, erkannten in der Werbung und politischen Aufklärung ein Medium, dessen Massenwirksamkeit auch ein künstlerischen Mittel aus der Isolation de "Schönen" herausholte.
Daß Stankowski mit dieser Tradition in Berührung kam, verdankt er einem familiären Zufall. So verbrachte er seine ersten "Lehrjahre" bei seinem Onkel Anton Stankowski, dessen Werk in den revolutionären künstlerischen Ideen der zwanziger Jahre wurzelte. Der ehemalige Folkwang-Schüler transportierte die Ideen der "Pioniere der Reklame" hinüber in unsere Gegenwart und machte sich neben seinen graphischen Arbeiten vor allem auch mit Fotomontagen einen Namen. Jochen Stankowski verließ den berühmten Onkel nach nur fünf Jahren, um eigene künstlerisch-kreative Wege zu gehen.
Die Impulse der 68er Bewegung nahm Stankowski damals in seine Arbeit auf. Als Atomkraftgegner und Mitbegründer einer Antipsychiatriegruppe gestaltete der junge Grafik-Designer unter anderem Flugblätter, Plakate und Bücher. Inhalte und Ideen sollten erkennbar werden, überall lesbar sein. Denkanstöße mitten in der Geschwindigkeit des Alltags. Bis heute betrachtet er es als seine Aufgabe, die Form wieder mit Bedeutung zu füllen. Sie der Wirklichkeit wieder ein Stück näher zu bringen.
Mit seiner Arbeits- und Lebensphilosophie paßt Stankowski in das Konzept des Bürgerprojektes AnStiftung, welches den Aufenthalt des Stadtmalers fördert und finanziert. Die 1993 gegründete Stiftung bürgerlichen Rechts versteht sich als Instanz, die den Prozeß des Nachdenkens "über gestern, über morgen" lebendig hatten möchte. So geht es vor allem um die Vorbereitung, Anregung und Förderung von Projekten, die sich auf die Geschichte, die Gegenwart und Zukunft der Stadt Dresden beziehen. AnStiftung könnte insofern als Synonym für Einmischung, kritischen Diskurs und aktives Mitgestalten in der sächsischen Metropole stehen.
Jochen Stankowskis Rolle hierbei ist es, seinen eigenen Künstlerischen Launen freien Lauf zu lassen. Die Idee der Stiftung war es nicht, den Stadtmater zu einem Hofmaler zusammenzuschrumpfen. Dresden sollte eher den Ideenfundus bieten, nicht Vorlage für ein Abbild. Stadtmaler Stankowski hat diesen Fundus bisher für sich selbst zu nutzen gewußt. Als sichtbares und vor altem fühlbares Erlebnis seiner Arbeit plant er nun die Fortsetzung seiner Brücken Idee als Aktion. Am 13. Juni sollen die fünf Dresdner Brücken mit allen fünf Sinnen wahrgenommen werden können. Brücken als zwischenmenschliche Verbindungen, als Chance für das kommende und das Vergangene und vielleicht auch als Möglichkeit der Rückkehr. Für Jo Stankowski heißt das auch, einen Brückenschlag gewagt zu haben in seiner eigenen künstlerischen Ästhetik.