Kontakt Zeichensteller Grafikdesigner radioplanMCDACoretaaktuell Maler Fotograf ExperimentSachfotografieArchitekturBild+Abbild Aktuell z.B.z.B.z.B.z.B.
Rezensionen
Publikationen
Shop

Zeichen - angewandte Ästhetik
Ausstellung in Dresden-Hellerau
2012: Deutscher Werkbund Sachsen

5./6. Oktober 1907, WerkBund-Gründungsversammlung: „Der Zweck des Bundes ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen.“

Der Glaube an die „reinigenden Kraft“ der Neuen Gestaltung bezog sich Anfang des 20.ten Jahrhunderts auf das gesamte soziale Umfeld: von der einfachen Reklamedrucksache bis hin zum großen architektonischen Projekt. Die spätere Entwicklung lässt uns heute diesen damaligen Optimismus als überzogen erscheinen. Die darin enthaltene Utopie ist aber nach wie vor aktuell. In der Tat wurde – im Gegensatz zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – in der Weimarer Republik mit dem Aufbau neuer Kommunikations- und Kunstformen begonnen, die die Gesellschaft prägen sollte.

Dass – in der Sowjetunion wie später in Deutschland ­– dabei auch die Reklame und die Drucksachengestaltung als ein „Hebel“ für die Neue Kunst erschienen, ist angesichts bestimmter Werbemethoden der Gegenwart kaum noch nachzuvollziehen. In den zwanziger Jahren aber öffnete sich hier ein alternatives Feld, das die Entsäkularisierung und Entmystifizierung des traditionellen, elitären Kunstbegriffs versprach. Mit ihrer Werbewirksamkeit wurde die Kunst im Sinn von Exaktheit messbar, rational nachprüfbar, wirklich jedermann war ihr Adressat. Die Ideologie der „Neuen Werbung“ spielte so für die Entwicklung einer „Exakten Ästhetik“ in den zwanziger Jahren eine große, bisher kaum gewürdigte Rolle.

Lange Zeit war die Gestaltung der Reklame weitgehend der „angewandten“ Kunst überlassen worden, sieht man ab von Ausnahmen im Plakatbereich. Die typografische Reklame jedenfalls war bis weit in die dreißiger Jahre eine Domäne der Drucker. Was Mart Stam und El Lissitzky 1924 in der Zeitschrift „ABC“ in einer glossierenden Randnote über die Reklame vermerkten, entsprach der herrschenden Auffassung: „Wissen sie, was die Kunstmoral über die Reklame sagt: Plakatkunst ist Prostitution der Malerei, so wie Journalismus Prostitution der Literatur und Kino Prostitution des Theaters – und Kukirol Prostitution der Hühneraugen“.

Mit dieser ironisierten bürgerlichen „Kunstmoral“ haben dann zuerst die russischen Konstruktivisten und Produktionskünstler mit Vehemenz gebrochen. Die Agit-Reklame führte hier zu einer ausgesprochenen Reklamebegeisterung. Nach seiner wegweisenden Arbeit an den ROSTA-Fenstern schrieb der Dichter Majakowski 1923 in einem Artikel „Agitation und Reklame“ unter anderem: „Die Reklame hat unaufhörlich jedes Ding auf das Zauberhafteste in Erinnerung zu rufen“. Zur Vereinigung „AGIT-Reklame“ zählten dabei außer Majakowski die Künstler Lewin, Lawinski, Rodtschenko, Stepanowa und Adliwankin. Im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik wollte man zur Popularisierung der sowjetischen Warenerzeugnisse beitragen. Der Theoretiker Boris Arwatow hielt die Reklame und das politische Plakat für die höchste „Entwicklungsform der Agitationskunst“, für die Grundform der „AGIT-Malerei“.

Auch der Wirtschaftsaufschwung ab 1924 beschleunigte die Entdeckung der „neuen“ Werbemittel – „neu“ und „fortschrittlich“ gingen damals in der Kunst wie in der Warenwelt eine Allianz ein. Lissitzky/Stam also stellten die Reklame als „Notwendigkeit“ in der „heutigen Gesellschaftsordnung“ dar, nämlich als „Folge des Konkurrenztriebes“. Sie wirke auf das Publikum durch Propaganda, Mitteilung, Suggestion. “Psychologisches Erkennen“ sei bei der Gestaltung notwendig. Dabei gelte der Grundsatz: „Das Exakte über das Verschwommene, die Wirklichkeit über die Nachahmung“. Das „individuelle Element“ – also „des Künstlers eigener Strich“ – sei belanglos. Zwei Wege seien vorbildlich: „1. Die äußerste Organisation des lesbaren Textes, der Farbe und der Form zu funktioneller Kraft. 2. Die photomechanische Produktion des Gegenstandes“.

  ...

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ – diesen berühmten Satz von Paul Klee praktiziert auf seine Weise auch der angewandte Typograph, der Maler, der Drucker, der Zeichensteller Jochen Stankowski. Er hilft aktiv dabei mit, Dinge ans gesellschaftliche Tageslicht zu bringen. Mit seinen graphischen Arbeiten – von der Anzeige, dem Flugblatt, dem Plakat bis zur Zeitung, zum Buch – wird Stankowski gewissermaßen die typographische Hebamme zur Sichtbarmachung von Problemfeldern, von Interessenkonflikten, wirbt für Ideen, für Gruppen, für Menschen. Dabei steht er gerade auf der Seite derer, denen das bildnerische ABC weniger vertraut ist, denen die Hochglanzseiten der Medienwelt weniger zur Verfügung stehen.

Das bildnerische Vokabular reicht dabei von der Fotografie, der freien Pinselzeichnung – etwa der unendlichen Variationsreihe von vier frei gesetzten Linien – bis hin zur an Malewitsch, Lissitzky, Rodtschenko orientierten konstruktivistischen Arbeit. Bei Stankowski liegen alle Tätigkeiten der visuellen Gestaltung in einer Hand: die Überarbeitung des Informationsmaterials, der bildnerische Entwurf, manchmal sogar der Druck oder die Plakatierung. Die gewohnte Arbeitsteilung wird überwunden: Der Zeichensteller Stankowski steht für alles ein. Er ist nicht Handlanger, sondern Betreiber. Er stellt seine Fallenzeichen noch selber auf. Das Denken der russischen Produktionskunst, der Bauhauszeit wird hier weitertransportiert, wird auch über Durststrecken der bildnerischen Übersättigung weitergereicht. Stephan von Wiese

Abb. unten: Ausstellung von Jochen Stankowski in einem der Hellerauer Meisterhäuser von Heinrich Tessenow 1912. Vier dieser Häuser stehen gegenüber dem Festspielhaus. Sie waren für die leitenden Lehrer der Bildungsanstalt vorgesehen.