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Auf die Straße!
Fünf Jahrzehnte politische Plakate in Köln
2021: Felix Klopotek, Kölner StadtRevue, Nr 11

Vor 50 Jahren haben Jochen und Martin Stankowski zusammen mit dem VolksBlatt-Kollektiv in Köln die politische Agitation revolutioniert: Sie schufen eine einzigartige Plakatkunst, mit der sie direkt in den städtischen Raum intervenieren konnten. Auf die Straße — das war der Schlachtruf dieses neuen Journalismus. Ob Hausbesetzungen, Jugendarbeit, Feminismus, Korruption in Köln: Gestalterisch wie inhaltlich waren sie auf der Höhe der Zeit. Mit der Ausstellung »AnSchläge. 5 Jahrzehnte politische Plakate in Köln« in den Kunsträumen der Kölner Horbach-Stiftung wird dieser Aktivismus umfassend gewürdigt. Anlass für uns zu fragen: Was hat der Aktivismus gebracht? Was lässt sich von ihm für unsere Gegenwart lernen? Felix Klopotek hat sich mit Martin Stankowski unterhalten.

Die Plakatkunst der Stankowski-Brüder reflektiert den Aufbruch der 1970er Jahre. Dass sie heute noch wichtig ist, hat mit drei grundlegenden Ideen zu tun.

Selbstorganisation
Ein klares, einfaches Gestaltungsprinzip: »Die Schlagzeile muss für einen Vorübergehenden und einen Fahrradfahrer erkennbar sein«, sagt Martin Stankowski. Er und sein Bruder Jochen klebten, immer im kollektiven Prozess mit anderen, von 1982 bis 1985 eine Wandzeitung in Köln — links und interventionistisch, schnell geschrieben, schnell geklebt, um auf Aktionen aufmerksam zu machen, Missstände anzuprangern, das selbstgefällige Kölner Bürgertum herauszufordern, die lähmende Sprachlosigkeit im öffentlichen Raum aufzubrechen.

»Köln ist immer — weil die Kölner so schlampig sind, so unorganisiert und unzuverlässig — ideal für selbstorganisierte, freischwebende Initiativen. Es gibt keine Stadt in der Bundesrepublik, die im Verhältnis gesehen so viele freie und unabhängige Initiativen hatte. In Frankfurt saßen die Theoretiker, Berlin galt als dogmatisch, von München wusste keiner was Genaues. Und in Köln blühten die Initiativen«, blickt Stankowski zurück. Ein bisschen davon merkt man noch heute.

»AnSchläge« ist aber mehr als eine Retrospektive: Denn zu sehen sind modellhaft Plakate und Zeitungen, mit denen in den Stadtraum interveniert wurde. Was hat’s gebracht — und: Könnte man heute, wo sich Öffentlichkeit angeblich in sogenannte »soziale Netzwerke« auflöst, noch so arbeiten?

Dass die Frage nach der Relevanz virulent ist, hat mit drei Arbeitsprinzipien zu tun. Martin Stankowski, 1965 Abitur, danach in Köln zum Journalisten ausgebildet und in einem kleinen, renitenten linkskatholischen Milieu unterwegs, erinnert sich: »In der Stadt gab es eine Reihe von alternativen, sozialistischen Strukturen, aber noch nicht den Produktionsgedanken, noch nicht die Selbstverwaltung. Das fing mit uns an.« 1971 gründet er mit Bruder Jochen und Ivo Rode eine Druckerei, daraus wird ein Kollektivbetrieb, der erste in Köln: Merkenicher Straße 99 in Niehl. Später, sagt Stankowski, kamen Schreiner dazu, sogar Zahnärzte. Auch die 1976 gegründete Stadtrevue (die zunächst noch kein Kollektivbetrieb war). Arbeiten im Kollektiv: das heißt arbeiten ohne Chef, mit Einheitslohn, Gewinne fließen nicht ab, werden auf alle Mitarbeiter verteilt oder gespendet. Das ist das erste Prinzip: Selbstorganisation.

Gegenöffentlichkeit
Das Kölner VolksBlatt wird im Herbst 1973 gegründet, gedruckt und verteilt. »Unser politisches Projekt war das VolksBlatt, ganz klar«, sagt Stankowski. In ihrer besten Zeit erschien die Zeitung 14tägig und konnte 9000 Exemplare je Ausgabe verkaufen. Anders als die Stadtrevue war das VolksBlatt kein Magazin, sondern die Plattform der Bürgerinitiativen und linken Stadtgruppen. »Als Medium für alle offen zu sein — das war unser Anspruch. Wir wollten die Spaltungspolitik der linken Parteien nicht mitmachen. Und zugleich haben wir in vielen Sachen unmittelbar agiert und selber Stellung bezogen. Wir haben mit den Initiativen über ihre Flugblätter diskutiert und ihnen geholfen, sie lesbar zu machen.«

Jeden Mittwoch fand in der Palmstraße die offene Redaktionssitzung statt. Und offen heißt — jeder ist eingeladen. Stankowski muss jetzt noch tief Luft holen: »Zehn Jahre haben wir das gemacht! Die Jahren waren Knochenarbeit.«

Zumal die Plakatarbeit weiterlief: Jochen Stankowski hat zwischen 1973 und 1993 etwa 500 Plakate allein für die SSK/SSM, die Sozialistische Selbsthilfe Köln, in der sich Jugendliche und Heimkinder organisierten, um den fürchterlichen Wegschließ- und Verwahrorten zu entkommen, entworfen und gedruckt. Damit ist dritte Arbeitsprinzip genannt:

Die Gestaltung
Die Stankowskis haben einen berühmten Onkel: Anton Stankowski, er ist einer der großen Konstruktivisten in Grafik und Malerei des 20. Jahrhunderts. Jochen, der Schriftsetzer gelernt hatte, ging anschließend bei seinem Onkel in die Lehre, um Grafiker zu werden. Viele kennen Jochen, der bis heute die Einbände der Merve-Bücher gestaltet und damit die, neben der Edition Suhrkamp, stilbildendste Buchreihe der Republik visuell geprägt hat. Konstruktivismus heißt: Reduktion der gestalterischen Prinzipien auf klare, nachvollziehbare, rationale Prinzipien; Abstraktion der Darstellung auf wenige, symbolhaft starke Elemente, die den Inhalt einer Aussage unverstellt von Schnörkeln in den Vordergrund treten lassen. Die Anwendung konstruktivistischer Prinzipien ermöglicht schnelles Arbeiten und die Gleichwertigkeit von Gestaltung und Inhalt. Die Ästhetik eines Plakats ist nicht von seiner Aussage zu trennen.

Selbstorganisation und arbeiten im Kollektiv, Gegenöffentlichkeit ohne Hierarchien, schließlich die Stärke einer eigenen Ästhetik, die trotz (oder gerade wegen!) ihrer minimalistisch-strengen Prinzipien der Fantasie viel Raum lässt: Das unterscheidet diese Arbeitsweise von Twitter und Facebook, von Clicktivism und Shitstorms. »Ganz einfach«, sagt Stankowski, »wir wollten keine Stimmungsmache, wir wollten informieren.«

Manches ändert sich nie oder nur sehr spät, auch daran erinnern die Plakate: Wohnraum wird weiter zerstört oder menschenunwürdig gestaltet, die Stadt wird zunehmend unbezahlbar. Der große Unterschied: Die Interventionen damals stießen auf Gegner, die den Aktivisten den Gefallen taten, sich borniert und halsstarrig aufzuführen. Ständig wurde das VolksBlatt mit Beleidigungsklagen überzogen, widerrechtlich von Pressekonferenzen ausgeschlossen, Plakatekleben galt als Sachbeschädigung. »Da ging es immer um den schändlichen Plakat-Kleister. Die beste Geschichte, die wir erlebt haben: Da haben wir Plakate geklebt an einem Haus der Gothaer Versicherung, dafür haben wir eine Anzeige bekommen. Nur — das Haus war zwischenzeitlich abgerissen! Köln halt.

Die Frage, was ihr Aktivismus damals bewirkt hat, will Stankowski eigentlich gar nicht beantworten, das sollen andere entscheiden. Aber dann sagt er: »Ich glaube, die Behauptung ›Jeder Jeck is anders‹ haben wir sehr stark ins Politische gewendet. Wir wollten dafür kämpfen, dass der Kölner Anspruch, eine freiheitliche Stadt zu sein, nicht karnevalistisch bleibt.« Material für diesen Kampf, vielmehr: für diese Kämpfe liefert die Ausstellung »AnSchläge« mehr als genug. Den Weg aber, es für unsere Gegenwart fruchtbar zu machen, müssen wir selber finden.

Einige der ca. 150 Plakate der Ausstellung.