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Peter Grohmann - Gilgamesch
Politsprech für Stankowski zur Vernissage am 13. Mai
2022: im Württembergischen Kunstverein Stuttgart

Peter Grohmann baut vor der Halle die AnStifter-Plakate auf.

Hochgeehrte Gemeinde, Gilgamesch ist das älteste Plakat der Menschheit. Für die Ungebildeten unter uns: Wir sprechen hier über 2600 Jahre vor Christus, konkret: 2100 Jahre vor Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, den angeblichen Erfinder des Buchdrucks und der beweglichen Lettern.

Fake fake fake, denn: Da hatte sich vorher schon einiges bewegt. Lockdown in Shanghai. In Wahrheit war nämlich der mit den beweglichen Lettern der Chinese Pi Sheng, geboren 972, gestorben 1051, ein Mann niedriger Abstammung und nobler Gesinnung. Eine wie ihr (wie der Gender sagen täte).

Er erfand zwischen 1041 und 1048 im Kaiserreich China die Methode des Drucks mit beweglichen Lettern und ist heute tote Ehrenbürgerin von Mainz. Die meisten Infos über diesen eingangs erwähnten Herrn Gilgamesch stammen nicht aus Wikipedia, sondern aus dem Gilgamesch-Epos und seinen Vorläufern. Das Gilgamesch-Epos ist das älteste bekannte literarische Epos der Weltgeschichte. Es wurde in Keilschrift auf Tontafeln niedergeschrieben.

Die Gilgamesch-Texte hatten eine große Verbreitung. Sie sind in 4 Sprachen belegt: Sumerisch, Akkadisch, Hethitisch, Hurritisch und Schwäbisch. Ich hatte von allem keine Ahnung. Aber auf das ganze kluge Gelumpe machte mich mein Kollege Jochen Stankowski aufmerksam. Im Gegensatz zu mir, dem Schlesier von Geburt, ist er drei Jahre jünger als ich und stammt  aus einer ebenso bildungswilligen und zeugungsstarken Familie in Meschede im Hochsauerland, was man an den drei Herren sieht, die heute anwesend sind: sein persönlicher Saalschutz. Für ihren Pazifismuzs sollten sich sie jetzt eigentlichen entschuldigen.

Da ich wegen der Russen nur 4 Jahre Volksschule hatte, mußte ich nach diversen Fluchtversuchen viel nachsitzen und konnt' anders als Jo nur eine Schriftsetzerlehre bei einem Nazi-General in Pfullingen machen. Und sonst garnix, nur Basis. Aus der DDR hatte ich vor allem drei Worte in den freien Westen gerettet: Druschba // Mir // Westpakate. Verwendung findet heute nur noch das Wort Westpakete. Stankowski floh aus dem Hochsauerland, ich aus dem Hoch-Kommunismus-Land, zuviel deutsch, zu wenig demokratisch-republikanisch.

Es war Gottes Fügung, die Jochen und mich, uns beide in den 50er Jahren in Stuttgart landen ließen. Ich lernte Handsatz, Typografie, Maschinensatz, Klischeeherstellung, Drucken, Zeitungsmachen, vorher Postaustragen, Bude saubermachen und Geschichten die Märchen aus Stalingrad bei meinem Nazi-Meister.

Jochen Stankowski war schon 1958 in Stuttgart Typograf in der feinen Dr. Cantz'schen Druckerei, 1959 an der Hochschule des Grafischen Gewerbes, 1960 Gebrauchsgrafiker wie es damal hieß + Fotograf bei Anton Stankowski, an der Aka am Weißenhof und kam folgerichtig in die Wieslocher Psychiatrie. Allerdings als Kriegsdienstgegner für leichtes und schweres Gerät. 1968 hatte er bereits seinen berühmteren Onkel Anton Stankowski ausgetrickst und wurde Mitinhaber des Grafischen Ateliers Anton + Jochen Stankowski. Richtig im Sinne der Anklage ist auch, dass wir bereits in den 60er Jahren politische Aktionen auf dem Stuttgarter Schloßplatz machten und uns grafisch und textlich mit der PFB Eugen Eberle auf den Straßen einmischten - und beim Katholikentag, der Bundeswehr-Vereidigung und Nazi-Versammlungen. 1972 wurde euer Grafik-Druck-Betriebs in Köln eröffnet..

Von der Einnahme der DDR 89 hatte ich mir viel versprochen, daher lockte ich Jochen Stankowski 1998 nach Dresden. Er war inzwischen Zeitungsmacher, Grafikdesigner, Maler, Bürgerrechtler, Aktivist und Kulturschaffender und wurde für mich zum wichtigsten Standbein der AnStifter im fernen Osten. Zu den politischen Plakaten selbst wird hier alles gesagt, ist alles zu sehen, zu lesen, zu spüren, auch in den Katalogen und diversen Schriften, die ausliegen. Den Rest können Sie sich sicherheitshalber denken.

Doch nochmal zurück in den Irak zu Gilgamesch. Mein eindrückliches Text-Bild-Erlebnis hatte ich nämlich als 6jähriger bei den Meistern der Volksverdummung,  euren und meinen Ur-Ahnen, den Nazis. Ich erinnere mich dunkel und gern an zwei starke Grafiken an Hauswänden in unserem SS-Viertel in Breslau:

Der Kohenklau: Das war eine kräftig reduzierte schwarze Gestalt, die gerade eben mit einem Sack voller Kohlen abhauen will. Vermutlich Vaterlandsverräter, Jude oder Bill Gates. Er würde heute als sparsamer Staatsbürgerin in die Regierungsaufrufe passen. Die andere Grafik war mehr textorientiert, doch sie war ebenfalls sehr aussagestark und hieß Vorsicht bei Gesprächen: 'Feind hört mit!' Das kann gern heute wieder verwendet werden. Ein Kleinplakat zwischen A 4 und A 3, gemacht auch als Aufsteller, Aufkleber, Briefmarke und Warnung. Ebenfalls verwendbar, aber unnütz, weil die heute  bezüglich des Abhören viel weiter sind.

Ich folge jetzt mal der Intuition, also meinen oft chaotischen Gedanken, als den Zeitenwendern: Ein weiteres grafisches und politisches Großerlebnis war der Club Voltaire. Auch der wurde von Jochen Stankowski heimgesucht. Der politische Club gehörten zu den ersten dieser Art nach dem CV in Frabkfurt und dem Republikanischen Club in Westberlin. Er wurde 1964 geöffnet und 1971 geschlossen. 7 heiße Jahre in der Leonhardstraße. Der Jahreszuschuss der Stadt Stuttgart betrug 3000 Mark, von dem man dem Grafiker nichts abgeben wollte. Aber die Stankowski's sind Tag und Nacht viel ehrenamtlich, also als AnStifterin, unterwegs, was für den Beginn der anstiftenden Arbeitsgemeinschaft ein Glücksfall war: Erste-Klasse-Typografie für die politische Unterklasse.

Im Club Voltaire entstand die Projekt-Gruppe 'plakat'. Wir waren sehr glücklich, als gleich drei Plakate verboten wurden: Eins war die Fotocollage von Jürgen Holtfreter mit Beschlagnahmungen der Plakate und weitere Ermittlungen. Das war sehr gut. Wir druckten sofort nach.

Der zweite Verbot betraf ein Fotomontage von mir: Zu sehen war die Deutsche Bank - das heisst, eine Park-Bank mit dem Original-Logo der Deutschen Bank und der Aufschrift  'Nicht für Juden'. Der Anwalt drohte mit 50.000 Mark. Wir druckten nicht nach, aber die Auflage war heiß und hoch genug.

Das dritte Plakat zeigte Franz Josef Strauß, Sie werden sich nicht erinnern, Sie sind zu jung. Franz Josef Strauß (ja, googeln Sie ruhig, während ich hier rede), collagiert in einen Volksempfänger. Das war seinerzeit ein Radio und tat gute deutsche Dienste für die Faschisten. Strauß war übrigens der falsche Fuffziger, der 1983 mit einem Milliardenkredit die DDR in den Abgrund trieb und auf diese Weise das Ende des  erstens 1. deutschen Staates  auf sozialistischem Boden einläutete. Paar Jahre später gab es die DDR nicht mehr, es hatte also geklappt, wir bekamen die Milliarden zurück, dazu den gesamten Thüringer Wald, die Elbauen, den Dresdner Zwinger, die Nationale Volksarmee mit ihren Haubitzen, das Pergamon-Museum mit der gestohlenen Kunst der Muslime und die Stasi-Aktien.

Angestiftet haben Stankowski und mich und uns lebenslang die vielen Nazis, Heinrich Globke und Heinrich Lübke, die weltweiten Überfälle der Wehrmacht, Hermann Abs und Kiesinger, Rheinmetall und Daimler, deutsche Lehrer und Demokratieversager.

Ob die AnStifterei, an der nicht nur der Jochen Stankowski beteiligt ist in Dresden und die anderen roten Brüder andernorts, ist offen, aber zu hoffen, doch angesichts der Entwicklungen, der jüngsten im eigenen und der im fremden Land  (beides gehört uns nicht) und angesichts der vielen fernen Länder, die wir seit Generationen erfolgreich malträtieren und ausbeuten, durchaus fraglich. Und nun?

Die Augen rechts?
Die Augen geradeaus?
Nein, sondern: Rührt Euch!

Bei Interesse erfahren sie alles Weitere bei der Stasi-Unterlagenbehörde, die jetzt ganz einfach Stasi-Archv heißt. Wir sind dort gespeichert, Sie auch. Eine NSDAP-Unterlagenbehörde gab es übrigens nie. Aber alle Nazi-Beamten wurden übernommen und keiner hat sich übergeben.

In diesem Sinne: Wir sind abgeklärter als damals, als wir uns kennenlernten. Kleister für viele weitere Plakate haben wir noch, und den Optimismus, dass was hängen bleibt.

Blick in die Ausstellung 'Anschläge - 5 Jahrzehnte politische Plakat von Jochen Stankowski und die AnStifter.