SinnBild - Jochen Stankowski
Künste für‘s Auge vereinigt mit Künsten des Gedankens
Merve-Verlag, Leipzig 2022
112 Seiten, B6, 5 Euro
mit 50 Abbildungen, farbig
ISBN 978-3-96273-500-5
Ausgabe IMD 500
mit Epilog (siehe unten)
Bernard Bolzano (1840): "Die Künste des blossen Gedankens lassen sich mit denjenigen, die für das Auge arbeiten, als auch durch die Vermittelung der Sprache zur Hervorbringung eines gemeinschaftlichen Zweckes vereinen.
Die unmittelbare Verbindung findet Statt, so oft uns gewisse in einem schönen Gedankeninbegriffe enthaltene Vorstellungen, die es am meisten bedürfen oder verdienen, durch das Werk einer der optischen Künste veranschaulicht werden. Diesen unserer Sinnlichkeit insgemein so willkommenen Dienst können optische Künste uns leisten. Mehr noch, Vorstellungen, die uns durch keine Worte beigebracht werden, können durch blosse Gemälde uns in viel kürzerer Zeit und viel gefahrloser und angenehmer beigebracht werden, als es auf irgend eine andere Weise geschehen könnte.
Da jedes Kunstwerk des blossen Gedankens in Worte gefasst werden muss, und da uns diese, selbst wenn sie noch so schön vorgetragen, doch im nächsten Augenblicke wieder verhallen, so ist wohl einzusehen, dass die Erhaltung eines solchen Kunstwerkes erst dann auch für die Zukunft gesichert sei, wenn der Wortinbegriff, der die Auffassung jenes Gedankeninbegriffes liefert, niedergeschrieben worden ist. Ist aber diess geschehen, dann ist das Kunstwerk des blossen Gedankens zu einem Gegenstande geworden, der sich durch das Auge wahrnehmen lässt, um den somit auch optische Künste sich verdient machen können; es wird also wohl Niemanden, der irgend ein recht gelungenes Kunstwerk des blossen Gedankens kennen gelernt hat, zu verargen sein, wenn er den Wunsch hegt, dass das so schön Gesagte irgendwo doch auch seine schöne schriftliche Darstellung erhalte. Die Unterstützung, die einem Kunstwerke des Gedankens auf solche Art durch eine optische Kunst zu Theil wird, ist nun die mittelbare Weise, wie diese beiden Künste sich mit einander vereinigen können. Es ist ein bloss äusserer Dienst, welchen die letztere der ersteren leistet, lediglich darin bestehend, dass sich die Menschen leichter herbeilassen, ein Buch zu lesen, wenn es eine schöne Ausstattung hat.
Betrachten wir nun die neuen Kunstwerke, die auf die eine sowohl als auf die andere Weise zum Vorschein kommen, noch etwas näher."
Bernard Bolzano, Über die Eintheilung der schönen Künste. Eine ästhetische Abhandlung, Prag, 1840
Epilog: Vom Anagraph (ἀναγραφή)
If you judge a book by the cover Then you judge the look by the lover (ABC)
Vor etwas mehr als fünfzig Jahren entspann sich ein ebenso kurzer wie weit ausholender Austausch zwischen Jochen Stankowski und den Gründerïnnen jenes Verlages, in dem auch das vorliegende Buch noch erschienen sein wird. Diese Beratungen und die daraus gezogenen Schlüsse hat Jochen Stankowski in seinem Buch »TypoTexte« (Köln 2016, im Verlag der Buchhandlung Walther König) ausführlich dargestellt, Philipp Felsch und Christof Windgätter ebendort ihre Folgewirkungen ausgelotet. Die Lektüre all dessen sei mit Emphase empfohlen, ihr ist hier nichts hinzuzufügen.
Mit diesem Epilog möge vielmehr mit den ihnen vorangegangenen SinnBildern der Bildsinne, dem Unterscheiden zwischen Lettern und Formen, gedacht werden. Dass die Elemente, welche ein Buch bilden, aufeinander liegen, um dann nebeneinander ausgefaltet zu werden, ist eine Tatsache, die keineswegs, weil sie offenbar ist, als belanglose Angelegenheit verkannt werden sollte, sondern als eine, die ganz im Gegenteil das zentrale Prinzip jeder notwendigen Rekursion über das Cover und was es umgibt abgibt.
Vermittels zweier einfacher geschlossener Operationen wird bei Jochen Stankowski das plane und rechtwinklige Speichergestell um eine Dimension erweitert, mit sich gespiegelt und zuletzt entfaltet. (siehe Abb. unten)
Zwei Schriftverfahren, die das Diagramm einer Anagrammatik unterziehen, um sie, ganz im Zeichen eines »stade de miroire (rétroviseur)« in ein invertiertes Tetragramm (um nicht zu sagen: eine Tetraktys) zu überführen: Anagraph, Buchgliederpuppe, sans la lettre. So, und nur so, zeichnet das Buch, und nur dieses, im Zeitalter seines Verschwindens selbst.
Jochen Stankowski, dürfen wir also mit Plutarch annehmen, muss der »Grund dafür gewesen sein, dass im Königspalast von Syrakusai lauter Sandwolken aufwirbelten, weil alle Gäste plötzlich Tetragramme zeichneten«. Dafür werden wir nie nicht beginnen, ihm dankbar zu sein.
Leipzig, 22.02.2022