Visuelle Belästigung – Wir haben die Auge voll
Recht auf eigenen Blick
Kölner VolksBlatt, 11/1996
»Die Werbung übt einen mächtigen Einfluß aus, sie ist ein politisches Phänomen ersten Ranges. Zwar bietet sie nur wenig an, ihre Verflechtungen sind aber weitläufig. Außer der Macht, etwas kaufen zu können, erkennt sie nichts an. Alle anderen menschlichen Fähigkeiten oder Bedürfnisse sind dieser Macht untergeordnet.« (John Berger, 1972)
Werbung hat sich durch ihre Allgegenwart einen umfassenden Raum erobert, hält diesen besetzt und weitet sich unaufhörlich aus. (Zusatz geschrieben 2024: ohne Werbung gäbe es keine ‚Sozialen Netze‘ mit Hetze. Regierungen haben vor der Werbung kapituliert.)
In Köln ist dieses Wachtsum der Quantität umgeschlagen mit riesigen, nachts beleuchteten Megawerbetafeln. Straßen und Plätze sind verengt, begrenzt. Die Tafeln ragen unweigerlich in den Blick, sie stehen quer montiert zu den Verkehrsströmen der Stadtbewohner: Frontalzusammenstoß - die Blicke kollidieren unweigerlich, Durchblicke sind verbaut, Barrikaden errichtet, die Produktwelt schwebt über den Köpfen. Im Hi-Tech Look präsentiert sich die neue Ordnung. Gab es früher direkte Einflussmöglichkeiten des Gefallens oder Missfallens an Litfaßsäulen und Plakatwänden auszudrücken, sei es durch übermalen, hinzufügen von Kommentaren, Schautzbärten, Zahnlücken oder einfaches entfernen durch Abreißen, wird dem kreativen Kritiker diese Möglichkeit entzogen. Die neue Generation der Werbeträger hat diese Überlappung zur realen Welt gekappt. Die bunte glatte Werbewelt hat ihre ihnen gemäßen Schreine und Vitrinen gefunden. Was bleibt ist Konfrontation.
Konfrontation um jeden Preis, um den Preis des freien Blicks. Ein jeder muss die Straßen, Wege und Plätze der Städte benutzen, ein jeder wird mit den Megawerbetafeln konfrontiert und belästigt. Es kommt keiner davon, es soll keiner davon kommen. Eine Wahl gibt es nicht. Eine Megewerbetafel ist über hunderte von Metern präsent, beidseitig, tags wie nachts.
Die Lautstärke einer Party, die Geruchsentwicklung eines Grillfestes, die Lage des Grills zum nachbarschaftlichen Schlafzimmerfenster, die Zeiten, in denen gebohrt und gehämmert werden darf ist geregelt, die Lärm- und Schadstoffemissionen bilden einen Schutz der Gesundheit und für die Umwelt. Für visuelle Belästigung gibt es noch keine Richtwerte. Werbung lässt sich nicht in Dezibel oder mg/Kubikmeter klassifizieren. Nun sind Psychologen, Juristen, Kommunikationsfachleute und Ästhetiker gefordert, Grenzwerte der Belastung festzustellen, ab welcher Dichte und ab welchem Grad der Reizüberflutung die Wahrnehmung, der Konzentration und des sozialen Vermögens beeinträchtigt wird. Bislang gibt es das schon an Autobahnen. So schreibt das Bundesverkehrsministerium: 'Es ist zu vermeiden, dass durch Werbung der Autofahrer vom Verkehrsgeschehen abgelenkt wird. Schutzzweck ist die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs.' Das kann man ja schon mal als Vorlage gegen die visuelle Belästigung in unseren Städten nehmen.
Wolfgang Jorzik / Jochen Stankowski
Das Kölner StadtForum und das Kölner VolksBlatt hat mit dem kath. Bildungswerk, dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und dem Anderen Buchladen eine Veranstaltung mit der Kommunikationspezialistin Dr. Brigitte Spieß, dem Psychologen Stephan Grünewald und dem Professor für Ästhetik Bazon Brock eine Diskussionsveranstaltung organisiert.
Tags zuvor wurde auf dem Kölner Friesenplatz der Stadtblick gereinigt durch das Verhängen einer Werbetafel.