
Doris Oser, Deutscher Werkbund Sachsen
Leben für die Form
Zum 85ten Geburtstag von J.Stankowski, 2025
Jochen Stankowsi, geboren 1940, ist mit vier Brüdern in Meschede im Sauerland aufgewachsen. Ab 1960 absolvierte er eine grafische Ausbildung bei seinem Onkel Anton Stankowski, seinerzeit einem der renommiertesten Gestalter zeitgenössischer Gebrauchsgrafik. Ein Studium am College of Printing in London eröffnet ihm neue Horizonte.
Zusammen mit seinem Bruder Martin Stankowski und einem Freund gründete er 1972 den Druck-Betrieb am Niehl in Köln-Niehl, im Folgejahr zusammen mit zahlreichen Initiativen eine eigene Zeitung, das "Kölner VolksBlatt".
Das Thema Dialektik, die Widersprüche in der Einheit, lässt ihn ab 1984 nach künstlerischen Ausdrucksformen für dieses Spannungsfeld suchen. Zehn Jahre später stieß er bei Reisen nach Tunesien auf eine Art "konstruktivistischer Architekturmalerei". Seit 1998 lebt und arbeitet Stankowski als Grafikdesigner, Maler, Fotograf und "Zeichensteller" in Dresden, zeitweise mit einer eigenen Galerie.
Werkbund: Sie sind Grafikdesigner, Drucker, Maler, Fotograf, und Sie bezeichnen sich selbst als "Zeichensteller". Als solcher verstehen Sie sich dem tschechischen Philosophen Vilém Flusser folgend als einer, der Zeichen herstellt, aber auch als "Fallensteller". Weshalb stellen Sie dem Betrachter Fallen?
J. St.: Ich möchte Aufmerksamkeit wecken beim Betrachter. Er soll stehenbleiben und gucken. Nach meiner Ausbildung hieß meine Berufsbezeichnung noch Gebrauchsgrafiker, später Grafikdesigner. Zeichensteller passt gut zu meiner Arbeit. Ich möchte meine Umgebung mitgestalten.
Werkbund: Zeit Ihres Schaffens sind Sie ein politisch denkender Künstler. Eine Ihrer letzten Arbeiten ist die Ausstellung "Mein Name ist Mensch", mit der Sie die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ins Bild setzen. Sie wurde bundesweit an über einhundert Orten gezeigt, zusammen mit dem Deutschen Werkbund Sachsen auch im Festspielhaus Hellerau. Was treibt Sie an, sich politisch zu äußern?
J. St.: Politisch zu denken begann schon in meinem Elternhaus. Mit vier Brüdern wuchs ich in Meschede im Sauerland auf. Als Fünfjähriger erlebte ich die Bombardierung der Stadt dennoch hautnah. Nach Kriegsende war mein Vater aktiv im Stadtrat. In meiner Familie wurde ich pazifistisch geprägt. Das Sozialsein oder allgemeiner das Leben als Mensch interessieren mich. Kunst ist schön, aber wie viel schöner wäre sie, wenn die Umwelt stimmen würde. Dieser Gedanke von Oscar Wilde regte mich früh an.
Werkbund: Ihr Onkel Anton Stankowski war ein renommierter Gestalter zeitgenössischer Gebrauchsgrafik. Er hat auch das Signet des Deutschen Werkbunds gestaltet. 1960 sind Sie in sein Atelier in Stuttgart für eine grafische Ausbildung eingetreten. Wie hat Ihr Onkel Sie geprägt?
J. St.: Ich, der eigentlich Gärtner werden wollte oder Töpfer, bekam vom Vater und Onkel den guten Rat, Schriftsetzer zu lernen. Ein Deal, längst ausgekocht, brüderlich zwischen den Brüdern. Denn Anton, der kinderlos war, wollte und sollte seinen Beitrag zum Familiären leisten und mich, den Neffen, in seine Fußstapfen treten lassen. Anton war auf der Folkwang-Schule Essen bei Max Burchartz, einem der ersten Konstruktivisten in Deutschland. Neben den russischen Konstruktivisten waren die holländischen das große Vorbild: De Stijl, El Lissitzky, Alexander Rodtschenko, Kurt Schwitters. Sie haben auch mich geprägt. Anton hat mich gelehrt, welche Kraft in der konkreten Formsprache liegt, aus der Aufgabe heraus zudenken und den ersten Entwurf gleich in den Papierkorb zu werfen, denn das ist meist nichts Neues.
Werkbund: Sie haben lange in Stuttgart und Köln gelebt und gearbeitet. 1998 hat es Sie nach Dresden gezogen. Was war der Grund hierfür?
J. St.: Es war die Liebe. Ein weiterer Grund war mein Freund Peter Grohmann. Ihn kenne ich seit 1960 aus dem Club Voltaire Stuttgart, einem Ort für Gesprächs- und Streitkultur. In Dresden mag ich die angenehmen Proportionen: Über den Fluss kann man rüber rufen, die Sichtschneisen und die landschaftliche Einbettung.
Werkbund: Seit 2011 sind Sie Mitglied im Deutschen Werkbund Sachsen. Weshalb bietet er Ihnen eine geistige Heimat?
J. St.: Maria Obenaus hat mich zum Werkbund gebracht. Sie habe ich früh in Dresden kennengelernt, als sie Leiterin der Kustodie der TU Dresden war. In meiner damaligen “Galerie Konkret” hat sie einige Male die Eröffnungsreden gehalten.
Werkbund: Maria Obenaus ist die Grande Dame des Werkbund Sachsen, eine Mitgründerin nach der Wiedervereinigung. 2019 haben Sie einen prachtvollen Bildband herausgegeben, Ihre "Visuellen Memoiren" veröffentlicht. Es ist quasi ein Blick in die Schatzkiste Ihrer künstlerischen Arbeit. "Ich wollte schon immer sehen, was ich denke", ist einer Ihrer Schlüsselsätze. Können Sie diesen erläutern?
J. St.: Über die Jahre habe ich mir ein Formwissen angeeignet. Meine Arbeit beginnt immer mit einer Handskizze. Ich habe über einhundert Skizzenbücher. Werner Schmidt (ehemaliger Direktor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts und Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) hat es zu mir sinngemäß gesagt: Dresden sei eine formbetonte Stadt. Der Barock ist auch nichts anderes als eine Form. Ich stimme ihm zu. Ich kann leider nicht aus der Farbe denken, ich brauche immer eine Form.
Doris Oser, Vorstand Werkbund Sachsen